type | report |
booktitle | Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Band I |
author | Theodor Fontane |
year | 1998 |
publisher | Aufbau Verlag |
address | Berlin |
isbn | 3-7466-5291-X |
title | Wanderungen durch die Mark Brandenburg |
created | 19990616 |
sender | gerd.bouillon@t-online.de |
firstpub | 1880 |
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1. Königs Wusterhausen
Finstrer Ort und finstrer Sinn, Nun blühen die Rosen drüber hin. |
Wir halten vor einem Gasthofe, darin alles reich und großstädtisch ist, und während mir zwei Lichter auf den Tisch gesetzt werden, richt ich unwillkürlich die Frage an mich: Ist dies dasselbe Wusterhausen, von dem wir jene klassische, wenn auch wenig schmeichelhafte Beschreibung haben, die eine der besten Seiten in den Memoiren der Markgräfin von Bayreuth, der Lieblingsschwester Friedrichs des Großen, füllt? Laß doch sehen, was die Markgräfin in ihrem berühmten Buche, dem sozusagen »ältesten Fremdenführer von Wusterhausen«, erzählt. Und ich las wie folgt:
»Mit unsäglicher Mühe hatte der König an diesem Ort einen Hügel aufführen lassen, der die Aussicht so gut begrenzte, daß man das verzauberte Schloß nicht eher sah, als bis man herabgestiegen war. Dieses sogenannte Palais bestand aus einem sehr kleinen Hauptgebäude, dessen Schönheit durch einen alten Turm erhöht wurde, zu dem hinauf eine hölzerne Wendeltreppe führte. Der Turm selber war ein ehemaliger Diebswinkel, von einer Bande Räuber erbaut, denen dies Schloß früher gehört hatte. Das Gebäude war von einem Erdwall und einem Graben umgeben, dessen schwarzes und fauliges Wasser dem Styxe glich. Drei Brücken verbanden es mit dem Hof in Front des Schlosses, mit dem Garten zur Seite desselben und mit einer gegenüberliegenden Mühle. Der nach vornhin gelegene Hof war durch zwei Flügel flankiert, in denen die Herren von des Königs Gefolge wohnten. Am Eingang in den Schloßhof hielten zwei Bären Wacht, sehr böse Tiere, die auf ihren Hintertatzen umherspazierten, weil man ihnen die vorderen abgeschnitten hatte. Mitten im Hofe befand sich ein kleiner Born, aus dem man mit vieler Kunst einen Springbrunnen gemacht hatte. Er war mit einem eisernen Geländer umgeben, einige Stufen führten hinauf, und dies war der Platz, den sich der König abends zum Tabakrauchen auszuwählen pflegte. Meine Schwester Charlotte (später Herzogin von Braunschweig) und ich hatten für uns und unser ganzes Gefolge nur zwei Zimmer oder vielmehr zwei Dachstübchen. Wie auch das Wetter sein mochte, wir aßen zu Mittag immer im Freien unter einem Zelte, das unter einer großen Linde aufgeschlagen war. Bei starkem Regen saßen wir bis an die Waden im Wasser, da der Platz vertieft war. Wir waren immer vierundzwanzig Personen zu Tisch, von denen drei Viertel jederzeit fasteten, denn es wurden nie mehr als sechs Schüsseln aufgetragen, und diese waren so schmal zugeschnitten, daß ein nur halbwegs hungriger Mensch sie mit vieler Bequemlichkeit allein aufzehren konntePrinzessin Wilhelmine (die Markgräfin) erzählt an einer andern Stelle ihrer Memoiren: »Ich war all die Zeit über so leidend, daß ich versichern darf, zwei Jahre lang von nichts anderem als Wasser und trocken Brot gelebt zu haben.« Ähnliche Klagen wiederholen sich. Es ist aber, aller Sparsamkeit oder meinetwegen auch alles Geizes des Königs unerachtet, nicht sehr wahrscheinlich, daß es so knapp in Wusterhausen hergegangen sein sollte. Der König war ein sehr starker Esser, und alle Personen von gutem Appetit haben die Maxime: »Leben und leben lassen.« Außerdem liegen glaubhafte Berichte vor, aus denen sich ganz genau ersehen läßt, was an Königs Tisch gespeist wurde. Es gab: Suppe, gestovtes Fleisch, Schinken, eine Gans, Fisch, dann Pastete. Dazu sehr guten Rheinwein und Ungar. In Wusterhausen kamen noch, weil es die Jahreszeit mit sich brachte, Krammetsvögel, Leipziger Lerchen und Rebhühner hinzu, besonders auch Früchte zum Dessert, darunter die schönsten Weintrauben. Das klingt schon einladender als die Beschreibung der Prinzessin. ... In Berlin hatte ich das Fegfeuer, in Wusterhausen aber die Hölle zu erdulden.«
So die Markgräfin, die frühere Prinzessin Wilhelmine. Ich schlug das Buch zu und trat an das offene Fenster, durch das der heitere Lärm schwatzender Menschen zu mir heraufdrang. Das Zimmer lag im ersten Stock, und die Kronen der abgestutzten Lindenbäume ragten bis zur Fensterbrüstung auf, so daß ich meinen Kopf in ihrem Blattwerk verstecken konnte. Drüben, an der andern Seite der Straße, zog sich einer der Kavalierflügel des Schlosses entlang. Er war ganz in weiß' und roten Rosen geborgen und seine Oberfenster geöffnet; Licht und Musik drangen hell und einladend zu mir herüber. In schräger Richtung dahinter standen Pappeln und hohe Baumgruppen, und zwischen ihrem Laubwerk wurd ich des alten Schloßturms ansichtig, »des Diebswinkels, von einer Räuberbande erbaut«. War es wirklich so arg mit ihm? Er stand da, mondbeschienen, mit der friedlichsten Miene von der Welt, eher an Idyll und goldene Zeiten als an Fegfeuer und Hölle gemahnend.
Es war noch nicht spät und der Weg nicht zwei Minuten weit. So beschloß ich, noch einen Abendbesuch zu machen und die jetzt freilich von holdem Dämmer umwobene Wirklichkeit des Schlosses mit der Beschreibung seiner ehemaligen Bewohnerin zu vergleichen. Ich trat in den weiten Vorhof ein. Da lagen die Flügel rechts und links, vor mir Brück und Graben und dahinter, großenteils versteckt, das Schloß selbst. Die Bären fehlten, der Springbrunnen auch. Keine Stufen zeigten sich mehr, auf denen irgendwer seine Abendpfeife hätte rauchen können; nur eine weiße Pumpe stand inmitten eines Fliederbosquets und nahm sich besser aus, als Pumpen sonst wohl pflegen.
Ich näherte mich der Brücke, von der aus ich die Fundamente des Schlosses in dunklen Umrissen, die Giebel aber, auf die das Mondlicht fiel, in scharfen Linien erkennen konnte. Was zwischen Giebel und Grundmauer lag, blieb hinter Bäumen versteckt. Der »Styx« existierte nicht mehr; halb zugeschüttet, war aus dem Graben ein breiter Streifen Wiesenland geworden. Allerlei blühende Kräuter würzten die Luft, und im Rücken des Schlosses, wo die Notte fließt, hört ich deutlich, wie das Wasser des Flüßchens über ein Wehr fiel.
Ich kehrte nun in die Straße zurück und setzte mich unter die Linden des Gasthauses. Das war keine »Hölle«, was ich gesehn, oder aber die Beleuchtung hatte Wunder getan.
Der Wirt setzte sich zu mir, und angesichts des Schlosses, dessen Turmdach uns argwöhnisch zu belauschen schien, plauderten wir von Wusterhausen.
In alten, wendischen Zeiten stand hier ein Dorf namens »Wustrow«, eine hierlandes sich häufig findende Lokalbezeichnung. Als die Deutschen ins Land kamen, gründeten sie das noch existierende Deutsch Wustrow, zum Unterschiede von Wendisch Wustrow, schließlich aber wurden beide Worte durch ein angehängtes »hausen« germanisiert, und Deutsch und Wendisch Wusterhausen waren fertig.
Wendisch Wusterhausen, nur mit diesem haben wir es zu tun, wurd eine markgräfliche Burg. Sie verteidigte – wie »Schloß Mittenwalde«, von dem wir in einem der nächsten Kapitel sprechen werden – den Notte-Übergang und war eine der vielen Grenzburgen zwischen der Mark und der Lausitz.
Wendisch Wusterhausen blieb markgräfliche Burg bis gegen 1370, und es ist eher wahrscheinlich als nicht, daß der alte, von der Prinzessin als »Diebswinkel« bezeichnete Turm bis in jene markgräfliche Zeit zurückdatiert. Etwa 1375 kamen die Schlieben in den betreffenden Besitz, eine Familie, die damals in der Umgegend reich begütert war. Sie besaßen es ein Jahrhundert lang, auch während der Quitzow-Zeit, ohne daß besondere »Räubertaten« aus dieser ihrer Besitzepoche bekannt geworden wären. 1475 kauften es die Schenken von Landsberg, damalige Besitzer der Herrschaft Teupitz, aus deren Händen es, kleiner Mittelglieder zu geschweigen, 1683 an den Kurprinzen Friedrich, den späteren König Friedrich I., kam. Dieser aber überließ es 1698 seinem damals erst zehn Jahr alten Sohne, dem späteren König Friedrich Wilhelm I.
Friedrich Wilhelm I. nahm Wendisch Wusterhausen von Anfang an in seine besondere Affection und hielt bei dieser Bevorzugung aus bis zu seinem Tode. Was es jetzt ist, verdankt es ihm, dem »Soldatenkönig«; Straßen- und Parkanlagen entstanden, und mit Recht wechselte der Flecken seinen Namen und erhob sich aus einem Wendisch Wusterhausen zu einem Königs Wusterhausen.
Königs Wusterhausen ist vielleicht mehr als irgendein anderer Ort, nur Potsdam ausgeschlossen, mit der Lebens- und Regierungsgeschichte König Friedrich Wilhelms I. verwachsen. Hier ließ er als Knabe seine »Kadetten« und einige Jahre später seine »Leibcompagnie« exerzieren. Hier übte und stählte er seinen Körper, um sich wehr- und mannhaft zu machen, und hier, nach erfolgtem Regierungsantritte, fanden jene weidmännischen Festlichkeiten statt, die Wusterhausen recht eigentlich zum Jagdschloß par excellence erhoben.
Hier auf dem Schloßhof, den jetzt die friedliche Pumpe ziert, war es, wo jedesmal nach abgehaltener Jagd den Hunden ihr »Jagdrecht« wurde. Das war die Nachfeier zum eigentlichen Fest. Der zerlegte Hirsch ward wieder mit seiner Haut bedeckt, an der sich noch der Kopf samt dem Geweih befinden mußte. So lag der Hirsch auf dem Hof, während hundert und mehr Parforcehunde, die durch ein Gatter von ihrer Beute getrennt waren, laut heulten und winselten und nur durch Karbatschen in Ordnung gehalten wurden. Endlich erschien der König, der Jägerbursche zog die Haut des Hirsches fort, das Gatter öffnete sich, und die Meute fiel über ihr »Jagdrecht« her, während die Piqueurs im Kreise standen und auf ihren Hörnern bliesen.
Wenigstens zwei Monat alljährlich wohnte König Friedrich Wilhelm I. in Wusterhausen. Spätestens am 24. August traf er ein, und frühestens am 4. oder 5. November brach er auf. Die ersten acht Tage gehörten der Rebhuhnjagd, vorzüglich auf der Großmachnower Feldmark; später dann folgten die Jagden auf Rot- und Schwarzwild. Zwei Festlichkeiten im größeren Stil gab es herkömmlich während der Wusterhausener Saison: die Jahresfeier der Schlacht bei Malplaquet am 11. September und das Hubertusfest am 3. November. Bei Malplaquet war der König, damals noch Kronprinz, zum ersten Mal im Feuer gewesen; das erheischte, wie billig, ein Erinnerungsfest. Das Hubertusfest war zugleich das Abschiedsfest von Wusterhausen. Nur einmal fiel es aus, am 3. November 1730. Am 28. Oktober, sechs Tage vor dem Hubertustag, hatte das Kriegsgericht in Schloß Köpenick gesessen, das über Kronprinz Friedrich und Katte befinden sollte.
Hier in Wusterhausen spielten später die Hof- und Heiratsintriguen, und hier schwankte die Waage bis zuletzt, ob der Erbprinz von Bayreuth oder der Prinz von Wales (wie so sehr gewünscht wurde) die Braut heimführen würde; hier endlich, nachdem die Ungewitter sich verzogen und ruhigeren Tagen Platz gemacht hatten, teilte der früh alternde König, wenn Gicht und Podagra das Jagen verboten, seine Zeit zwischen Tonpfeife und Palette, zwischen Rauchen und Malen.
Der andere Morgen war Pfingstsonntag. Ich brach früh auf, um das »verzauberte Schloß«, das damals (1862) noch keine Restaurierung erfahren hatte, bei hellem Tageslichte zu sehn. Ich fragte nach dem Kastellan – tot; nach der Kastellanin – auch tot; endlich erschien ein Mann mit einem großen alten Schlüssel, der mir als der Herr »Exekutor« vorgestellt wurde. Dies ängstigte mich ein wenig. Es war ein ziemlich mürrischer Alter, der von nichts wußte, vielleicht auch nichts wissen wollte.
Wir traten durch eine Seitentür auf den Schloßhof. Es war schon heiß, trotz der frühen Stunde; die Sonne schien blendend hell, und die Bosquets samt der weißen Pumpe waren nicht ganz mehr, was sie den Abend vorher gewesen waren.
Wir umschritten zunächst das Schloß, dann nahm ich einen guten Stand, um mir die Architektur desselben einzuprägen. Es ist gewiß ein ziemlich häßliches Gebäude, aber doch noch mehr originell als häßlich und in seiner Apartheit nicht ohne Interesse. Der ganze Bau, bis zu beträchtlicher Höhe, ist aus Feldstein aufgeführt woraus ich den Schluß ziehe, daß der König die dem vierzehnten oder fünfzehnten Jahrhundert angehörige Grundform des Schlosses: ein Viereck mit vorspringendem Rundturm, einfach beibehielt und nur die Gliederung und Einrichtung völlig veränderte. Der Rundturm wurde Treppenturm. Von diesem aus zog er eine Mauerlinie mitten durch das Feldsteinviereck hindurch und teilte dadurch den Bau in zwei gleiche Hälften. Jede Hälfte erhielt ein Giebeldach, so daß wer sich dem Schlosse jetzt nähert, zwei Häuser zu sehen glaubt, die mit ihren Giebeln auf die Straße blicken. In Front beider Giebel und an beide sich lehnend steht der Turm.
Dieser Turm ist sehr alt; König Friedrich Wilhelm I. aber hat ihm einen modernen Eingang gegeben, ein Portal in Mannshöhe, dessen Giebelfeld etwa ein Dutzend in Holz geschnittene Amoretten zeigt. Einige sind wurmstichig geworden, andere haben sonstigen Schaden genommen.
Beim Eintreten erblickt man zuerst ein paar verliesartige Kellerräume, darin etwas Stroh liegt, als wären es eben verlassene Lagerstätten. Von hier aus führt eine Treppe von zehn oder zwölf Stufen ins Hochparterre, danach eine zweite, höhere Treppe bis ins erste Stockwerk. Wir verweilen hier einen Augenblick. Ein schmaler Gang scheidet zwei Reihen Zimmer voneinander, deren Türen, etwa in Mittelhöhe (mutmaßlich des besseren Luftzugs halber), kleine Gitterfenster haben, infolgedessen die Zimmer aussehen wie Gefängniszellen. Es sind dies ersichtlich dieselben Räume, darin die Prinzessinnen schlafen mußten, wenn sie nicht in den kleinen Giebelstuben untergebracht wurden. Die Gitterfenster gönnen überall einen Einblick. In einem der Zimmer lagen Aktenbündel ausgebreitet, weiße, grüne, blaue, wohl achtzig oder hundert an der Zahl. Mutmaßlich eine alte Registratur der Herrschaft Königs Wusterhausen.
Wir stiegen nun ins Hochparterre zurück. Hier befindet sich die ganze Herrlichkeit des Schlosses auf engstem Raum zusammen. Man tritt zuerst in eine mit Hirschgeweihen ausgeschmückte Jagdhalle, die, wie der Flurgang oben, zwischen zwei Reihen Zimmern hinläuft. Die frühere große Sehenswürdigkeit darin ist derselben verlorengegangen. Es war dies das 532 Pfund schwere Geweih eines Riesenhirsches, der 1636, also zur Regierungszeit George Wilhelms, in der Köpnicker Forst, vier Meilen von Fürstenwalde, erlegt worden war. Über dies Geweih ist auch in neuerer Zeit noch viel gestritten und obige Gewichtsangabe, wie billig, belächelt worden. Nichtsdestoweniger muß das Geweih etwas ganz Enormes gewesen sein, da Friedrich August II. von Sachsen dem Könige Friedrich Wilhelm I. eine ganze Compagnie langer Grenadiere zum Tausch dafür anbot, ein Anerbieten, das natürlich angenommen wurde. Das Geweih existiert noch und soll sich auf dem Jagdschloß Moritzburg bei Dresden befinden.
Rechts von der Halle sind zwei Türen. An der einen, zunächst der Treppe, standen mit Kreide die Worte: »Wachtstube der Artillerie«. Bei Manövern, Mobilmachungen etc. muß nämlich das Wusterhausener Schloß wohl oder übel mit aushelfen und erhält vorübergehend eine kleine Garnison. Auch stehen in der Tat die meisten dieser Räume, wenigstens in der Gestalt in der ich sie noch sah, auf der Stufe von Kasernenstuben.
Das erste Zimmer hinter der mit Kreide beschriebenen Tür war ehedem das Schlafzimmer Friedrich Wilhelms I. Es befindet sich in demselben das große Waschbecken des Königs, etwas höchst Primitives, eine Art festgemauertes Waschfaß. Aus Gips gefertigt, gleicht es den Abgußsteinen, die man in unseren Küchen findet und hat in der Tat eine Öffnung zum Abfluß des Wassers, in der ein steinerner Stöpsel steckt, halb so lang wie ein Arm und halb so dick. Beim Anblick dieses Waschfasses glaubt man ohne weitere Zweifel, was vom Soldatenkönig berichtet wird, daß er einer der reinlichsten Menschen war und »sich wohl zwanzigmal des Tages wusch«.
Die andere Tür, ebenfalls zur Rechten der Halle, führt in den Speisesaal. Er mißt fünfzehn Schritt im Quadrat. In der Mitte desselben ist ein hölzerner Pfeiler angebracht, der vielleicht mehr schmücken als stützen soll. Ein großer Kamin, neben dessen einem Vorsprung einst eine Treppe direkt in die Küche führte, vollendet die Herrichtung. Es ist dies derselbe Saal, in dem, wie schon hervorgehoben, an jedem 11. September der Tag von Malplaquet und an jedem 3. November das Hubertusfest gefeiert ward. Es ging dann viel heitrer hier her, als man jetzt wohl beim Anblick dieser weißgetünchten Öde glauben möchte. Frauen waren ausgeschlossen. Es war ein Männerfest. Zwanzig bis dreißig Offiziers, meist alte Generale, die unter Eugen und Marlborough mitgefochten hatten, saßen dann um den Tisch herum, und Rheinwein und Ungar wurden nicht gespart. Der »starke Mann« mußte kommen und seine Kunststücke machen; zuletzt, während die Lichter flackerten und qualmten und die Piqueurs auf ihren Jagdhörnern bliesen, packte der König den alten Generallieutenant von Pannewitz, der von Malplaquet her eine breite Schmarre im Gesicht hatte, und begann mit ihm den Tanz. Dazwischen Tabak, Brettspiel und Puppentheater, bis das Vergnügen an sich selbst erstarb.
Wir treten nun aus diesem Eßsaal wieder in die Halle zurück. Zur Linken derselben befinden sich ebenfalls zwei Zimmer, die Zimmer der Königin. Sie sind verhältnismäßig noch wohlerhalten und geben einem ein deutliches Bild von der »Élégance« jener Tage. Beide Zimmer sind durch eine Tür von Eichenholz miteinander verbunden, wie denn auch niedrige Eichenholzpaneele die Wände bekleiden, während in den vier Ecken oben vier Lyras angebracht sind, die so geniert dreinsehen, als befänden sie sich lieber woanders. Und doch haben sie wenigstens Gesellschaft: zwei Basreliefs (in jedem Zimmer eins), die sich als Wandschmuck zwischen Kamin und Decke schieben. Das eine stellt eine »Toilette der Venus«, das andere eine »Venus-Feier« dar. Auf jenem erblicken wir nichts als die herkömmlichen Amoretten, schnäbelnde Tauben, Rosenguirlanden etc., das zweite dagegen tut ein übriges, und nackte Gestalten von ganz unglaublichen Formen umtanzen eine Venus-Statue, während ein Satyr von hinten her eine Bacchantin umklammert und die Widerstrebende zum Tanze zwingt. An anderem Orte würde dieser lustige Heidenspuk wenig bedeuten, hier im Schlosse zu Wusterhausen aber nimmt er sich wunderlich genug aus und paßt seltsam zu dem Waschbecken drüben mit dem dicken steinernen Stöpsel.
Das erste dieser Zimmer, das sich mit der »Toilette der Venus« begnügt, führt durch eine Seitentür auf eine Art Rampe, die ziemlich steil nach dem Park hin abfällt. Diesen Weg machte wahrscheinlich der König, wenn er in seinem Gichtstuhl in den Garten hinein- und wieder zurückgerollt wurde. Bekanntlich war Treppensteigen nicht seine Sache.
Wir aber treten jetzt ebenfalls ins Freie hinaus und atmen auf im Sonnenlicht und in dem Wiesendufte, den eine Luftwelle herüberträgt. Eine mächtige alte Linde, hart zu Füßen der Rampe, ladet uns ein, unter ihrem Zweigwerk Platz zu nehmen, und wir sitzen nun mutmaßlich unter demselben Blätterdach, »unter dem die Damen, wenn's regnete, bis an die Waden im Wasser saßen«. Die Parkwiese liegt vor uns, Hummel und Käfer summen darüber hin, und das Mühlenfließ uns zur Rechten fällt leis über das Wehr. Träume nehmen den Geist gefangen und führen ihn weit, weit fort in südliche Lande, zu Tempeltrümmern und Götterbildern. Aber ein Satyr lauscht plötzlich daraus hervor. Es ist derselbe, der der tanzenden Bacchantin da drinnen im Nacken sitzt und siehe, die Prosabilder von Schloß Wusterhausen schieben sich plötzlich wieder vor die Bilder klassischer Schönheit.
Hatte die Memoirenschreiberin doch recht? Ja und nein. Ein prächtiger Platz für einen Weidmann und eine starke Natur, aber freilich ein schlimmer Platz für ästhetischen Sinn und einen weiblichen esprit fort.