type | narrative |
author | Iwan Turgenjew |
title | Visionen und andere phantastische Erzählungen |
publisher | Gustav Kiepenheuer Verlag |
address | Weimar |
printrun | 6. bis 10. Tausend |
year | 1917 |
firstpub | 1917 |
translator | Alexander Eliasberg |
corrector | hille@abc.de |
secondcorrector | gerd.bouillon@t-online.de |
sender | www.gaga.net |
created | 20060526 |
modified | 20170127 |
projectid | 53f74266 |
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IV.
Valeria konnte lange nicht einschlafen; ihr Blut wogte langsam und matt, und in ihrem Kopfe sang es ganz leise . . . Es kam vom seltsamen Wein, meinte sie, vielleicht auch von den Erzählungen des Mutius, oder von seinem Geigenspiel . . . Erst beim Morgengrauen schlief sie ein und hatte einen wunderbaren Traum.
Es war ihr, als träte sie in ein geräumiges Zimmer mit niedriger gewölbter Decke . . . Ein solches Zimmer hatte sie noch nie im Leben gesehen. Alle Wände waren mit kleinen blauen, mit goldenem Blumenmuster verzierten Kacheln bekleidet; schlanke Säulen von geschnitztem Alabaster stützten die Marmordecke; die Decke und die Säulen waren wie durchsichtig . . . bleiches rosiges Licht drang von allen Seiten in den Raum und übergoß geheimnisvoll und gleichmäßig alle Gegenstände; in der Mitte des spiegelglatten Fußbodens lagen auf einem schmalen Teppich Kissen aus Brokat. In den Ecken rauchten kaum wahrnehmbar große Räucherbecken in Form von Märchenungeheuern; es gab hier keine Fenster; in einer Wandnische dunkelte stumm eine mit einem Samtvorhang verhängte Tür. Und plötzlich gleitet dieser Vorhang langsam zur Seite . . . und an der Schwelle erscheint Mutius. Er verbeugt sich vor ihr, öffnet die Arme, lacht . . . Seine harten Arme umschlingen roh Valerias Oberkörper, seine trockenen Lippen versengen sie am ganzen Leibe . . . Sie sinkt zurück auf die Polster . . .
Valeria stöhnt vor Schreck auf, macht verzweifelte Anstrengungen und erwacht. Ohne noch zu begreifen, wo sie ist und was mit ihr geschehen, richtet sie sich im Bette auf und blickt sich ganz bestürzt um . . . Sie bebt am ganzen Körper . . . Fabius liegt an ihrer Seite. Er schläft; doch sein Gesicht scheint im Lichte des runden und hellen Vollmondes, der durchs Fenster hereinblickt, bleich wie bei einem Toten . . . es ist trauriger als das Gesicht eines Toten. Valeria weckt ihren Mann, und als er sie erblickt, ruft er aus: »Was hast du?« – »Ich hatte . . . ich hatte einen schrecklichen Traum,« flüstert sie, noch immer am ganzen Leibe bebend . . .
Aber in diesem Augenblick erklangen vom Pavillon her laute seltsame Töne, und beide, Fabius wie Valeria, erkannten die Melodie, die ihnen Mutius vorgespielt und die er das Lied der befriedigten, triumphierenden Liebe genannt hatte. – Fabius blickte verlegen auf Valeria . . . sie schloß die Augen, wandte sich ab, – und beide lauschten mit verhaltenem Atem dem Liede bis zu Ende. Als der letzte Ton erstorben war, versteckte sich der Mond hinter einer Wolke, und im Zimmer wurde es plötzlich dunkel . . . Beide Gatten ließen ihre Köpfe auf die Polster sinken, ohne ein Wort zu wechseln – und keiner von den beiden merkte, wann der andere einschlief.