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type | tractate |
author | Niccolò Machiavelli |
title | Politische Betrachtungen über die alte und die italienische Geschichte |
publisher | Westdeutscher Verlag |
editor | Erwin Faul |
year | 1965 |
translator | Friedrich von Oppeln-Bronikowski |
corrector | reuters@abc.de |
sender | www.gaga.net |
created | 20121212 |
projectid | 6cca8d22 |
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Siebtes Kapitel
Wie nötig in einer Republik die Ankläger zur Erhaltung der Freiheit sind.
Den Hütern der Freiheit einer Stadt kann man kein nützlicheres und nötigeres Recht geben, als die Bürger, die etwas gegen die Freiheit des Staates unternehmen, beim Volk, bei einer Behörde oder einem Rat zu verklagen. Diese Einrichtung hat für eine Republik zwei sehr günstige Wirkungen. Erstens wagen die Bürger aus Furcht vor Anklagen nichts gegen den Staat zu unternehmen, und wagen sie es doch, so werden sie unverzüglich und rücksichtslos bestraft. Zweitens wird den Mißstimmungen Luft geschaffen, die in den Städten auf mancherlei Art gegen irgendeinen Bürger entstehen. Finden diese Mißstimmungen keinen gesetzmäßigen Ausweg, so machen sie sich gewaltsam Luft, und das kann zum völligen Untergang des Staates führen. Nichts macht eine Republik fester und dauerhafter als eine gesetzliche Einrichtung, durch die sich solche gehässigen Leidenschaften entladen können. Das läßt sich durch viele Beispiele belegen, besonders durch das von Livius erzählte des Coriolan.
Der römische Adel war gegen das Volk aufgebracht, weil es ihm durch die Einsetzung der Tribunen, die es in Schutz nahmen, zuviel Macht erlangt zu haben schien. Als nun in Rom eine Hungersnot ausbrach und der Senat Korn aus Sizilien hatte kommen lassen, sagte Coriolan, ein Gegner der Volkspartei, nun sei die Zeit gekommen, das Volk zu züchtigen und ihm die zum Schaden des Adels erlangte Gewalt wieder abzunehmen. Man solle also das Volk hungern lassen und ihm kein Getreide austeilen. Dieser Rat kam dem Volke zu Ohren, und es geriet in solche Wut gegen Coriolan, daß es ihn beim Verlassen des Senats in einem Auflauf getötet hätte, wenn ihn die Tribunen nicht vorgeladen hätten, sich zu verantworten.
Hier zeigt sich, wie oben gesagt, wie nötig und nützlich es ist, wenn in Republiken gesetzliche Mittel bestehen, durch die sich der Haß der Gesamtheit gegen einen Bürger Luft machen kann. Denn sind keine gesetzmäßigen Mittel da, so ergreift man ungesetzliche, und diese haben ohne Zweifel viel schlimmere Folgen. Wird ein Bürger in gesetzmäßiger Weise gerichtet, so entsteht, auch wenn ihm dabei Unrecht geschieht, wenig oder gar keine Unordnung im Staat. Denn die Vollstreckung geschieht nicht durch Gewalttat eines einzelnen noch mit Hilfe einer fremden Macht, die die Freiheit zugrunde richtet, sondern durch die öffentliche Gewalt und durch Einrichtungen, die ihre bestimmten Grenzen haben und die nie zu etwas Staatsgefährlichem ausarten können. Zur Bestätigung meiner Ansicht durch Beispiele mag aus der alten Geschichte das des Coriolan genügen. Es fällt in die Augen, wieviel Unheil in der römischen Republik entstanden wäre, wenn er in jenem Auflauf getötet worden wäre. Es wären dadurch Angriffe einzelner auf einzelne entsprungen; solche Angriffe erzeugen Furcht, die Furcht aber sucht Schutz; zum Schutz wirbt man Anhänger, durch diese entstehen Parteiungen, und die Parteiungen führen zum Untergang des Staates. Da aber die Sache durch die gesetzmäßige Gewalt abgetan wurde, so wurden alle Übel vermieden, die bei ihrem Austrag durch Privatleute entstehen konnten.
In unsrer Zeit haben wir gesehen, zu welchen Umwälzungen es in der Republik Florenz führte, als die Menge ihren Groll gegen einen ihrer Mitbürger nicht auf gesetzliche Weise entladen konnte. Francesco Valori, Florenz als Freistaat s. Lebenslauf, 1494. Savonarolas mächtigster Parteigänger, Francesco Valori, wurde 1497 Gonfalonier von Florenz und setzte mehrere Bluturteile gegen Anhänger der Medici durch. Als Savonarola dann von Papst Alexander VI. exkommuniziert war, erhoben seine Feinde und die Anhänger der Medici wieder das Haupt; Valori wurde von Anhängern der Hingerichteten ermordet und Savonarola verbrannt. gleichsam Fürst der Stadt, wurde von vielen für einen ehrgeizigen Mann gehalten, der in seiner Kühnheit und Verwegenheit nach der Oberherrschaft zu streben schien. Da es aber in der Republik kein Mittel gab, ihm Widerstand zu leisten, außer durch eine Gegenpartei, so fürchtete auch er nichts als ungesetzliche Mittel und begann, sich zu seinem Schutze zahlreiche Anhänger zu werben. Aber auch seine Gegner griffen aus Mangel an gesetzlichen Mitteln, ihn niederzuhalten, zu ungesetzlichen, und so kam es zum Austrag mit den Waffen. Hätte man ihm in gesetzlicher Weise entgegentreten können, so wäre seine Macht nur zu seinem eignen Schaden gebrochen worden. Da man ihn aber mit ungesetzlichen Mitteln stürzen mußte, so mußten außer ihm noch viele vornehme Bürger darunter leiden.
Zur Bestätigung dieser Behauptung ließe sich auch noch der Vorfall mit Piero Soderini in Florenz anführen. S. Lebenslauf, 1502. Soderinis Stellung gegenüber den Anhängern der Medici s. Buch III, Kap. 3. Seine Abdankung s. Lebenslauf, 1512. Er war einzig die Folge davon, daß in der Republik keine Anklage gegen den Ehrgeiz mächtiger Bürger möglich ist; denn es genügt in einer Republik nicht, einen Mächtigen vor acht Richtern anzuklagen. Es müssen viele Richter sein, denn Wenige werden es stets mit den Wenigen halten. Hätte eine solche Einrichtung bestanden, so hätten ihn die Bürger, wenn sein Betragen schlecht war, angeklagt und dadurch ihrem Groll Luft gemacht, ohne das spanische Heer herbeizurufen. Tat er aber nichts Übles, so hätten sie nichts gegen ihn zu unternehmen gewagt, um nicht selbst angeklagt zu werden. In beiden Fällen wäre die Leidenschaft verraucht, die so große Umwälzungen herbeiführte.
Man kann also auf die schlechte Verfassung eines Staates schließen, wenn eine fremde Macht von einem Teil der Einwohner herbeigerufen wird; denn dann fehlt eine Einrichtung, die den gehässigen Leidenschaften der Bürger ohne gewaltsame Mittel Luft macht. Vollständig gesorgt ist dafür nur, wenn man Anklagen vor vielen Richtern anordnet und diesen gehöriges Ansehen verleiht. Diese Einrichtung war in Rom so gut getroffen, daß bei den zahlreichen Zwistigkeiten zwischen Volk und Senat weder der Senat noch das Volk, noch irgendein einzelner jemals darauf verfiel, fremde Hilfe herbeizurufen. Eine Ausnahme bildet gerade der von Machiavelli herangezogene Coriolan, der nach seiner Verbannung an der Spitze der Volsker gegen Rom zog. Vgl. Buch III, Kap. 13. Man hatte das Mittel zu Hause und brauchte es nicht auswärts zu suchen.
Die genannten Beispiele reichen zwar zum Beweis hin, ich will aber noch ein andres aus Livius' Geschichte V, 33. anführen. In Clusium, einer der ersten Städte Etruriens, hatte ein Lukumone die Schwester des Aruns geschändet. Da Aruns sich wegen der Macht des Beleidigers nicht rächen konnte, ging er zu den Galliern, die damals in der heutigen Lombardei wohnten, und beredete sie, mit bewaffneter Macht nach Clusium zu kommen und die ihm angetane Schmach zu ihrem eignen Vorteil zu rächen. Hätte Aruns die Möglichkeit gehabt, sich durch die Einrichtungen seiner Vaterstadt Recht zu verschaffen, so hätte er nicht das Heer der Barbaren herbeigezogen. So nützlich aber die Anklagen in einer Republik sind, so unnütz und schädlich sind die Verleumdungen, wie im folgenden Kapitel gezeigt wird.