type | fiction |
author | Leo N.Tolstoi |
title | Krieg und Frieden |
publisher | Non-Stop Bücherei |
translator | L. A. Hauff |
corrector | reuters@abc.de |
secondcorrector | gerd.bouillon@t-online.de |
sender | www.gaga.net |
created | 20080215 |
modified | 20161220 |
projectid | 408400b9 |
Navigation:
- Kapitel 111
- Kapitel 1
- Kapitel 2
- Kapitel 3
- Kapitel 4
- Kapitel 5
- Kapitel 6
- Kapitel 7
- Kapitel 8
- Kapitel 9
- Kapitel 10
- Kapitel 11
- Kapitel 12
- Kapitel 13
- Kapitel 14
- Kapitel 15
- Kapitel 16
- Kapitel 17
- Kapitel 18
- Kapitel 19
- Kapitel 20
- Kapitel 21
- Kapitel 22
- Kapitel 23
- Kapitel 24
- Kapitel 25
- Kapitel 26
- Kapitel 27
- Kapitel 28
- Kapitel 29
- Kapitel 30
- Kapitel 31
- Kapitel 32
- Kapitel 33
- Kapitel 34
- Kapitel 35
- Kapitel 36
- Kapitel 37
- Kapitel 38
- Kapitel 39
- Kapitel 40
- Kapitel 41
- Kapitel 42
- Kapitel 43
- Kapitel 44
- Kapitel 45
- Kapitel 46
- Kapitel 47
- Kapitel 48
- Kapitel 49
- Kapitel 50
- Kapitel 51
- Kapitel 52
- Kapitel 53
- Kapitel 54
- Kapitel 55
- Kapitel 56
- Kapitel 57
- Kapitel 58
- Kapitel 59
- Kapitel 60
- Kapitel 61
- Kapitel 62
- Kapitel 63
- Kapitel 64
- Kapitel 65
- Kapitel 66
- Kapitel 67
- Kapitel 68
- Kapitel 69
- Kapitel 70
- Kapitel 71
- Kapitel 72
- Kapitel 73
- Kapitel 74
- Kapitel 75
- Kapitel 76
- Kapitel 77
- Kapitel 78
- Kapitel 79
- Kapitel 80
- Kapitel 81
- Kapitel 82
- Kapitel 83
- Kapitel 84
- Kapitel 85
- Kapitel 86
- Kapitel 87
- Kapitel 88
- Kapitel 89
- Kapitel 90
- Kapitel 91
- Kapitel 92
- Kapitel 93
- Kapitel 94
- Kapitel 95
- Kapitel 96
- Kapitel 97
- Kapitel 98
- Kapitel 99
- Kapitel 100
- Kapitel 101
- Kapitel 102
- Kapitel 103
- Kapitel 104
- Kapitel 105
- Kapitel 106
- Kapitel 107
- Kapitel 108
- Kapitel 109
- Kapitel 110
- Kapitel 111
- Kapitel 112
- Kapitel 113
- Kapitel 114
- Kapitel 115
- Kapitel 116
- Kapitel 117
- Kapitel 118
- Kapitel 119
- Kapitel 120
- Kapitel 121
- Kapitel 122
- Kapitel 123
- Kapitel 124
- Kapitel 125
- Kapitel 126
- Kapitel 127
- Kapitel 128
- Kapitel 129
- Kapitel 130
- Kapitel 131
- Kapitel 132
- Kapitel 133
- Kapitel 134
- Kapitel 135
- Kapitel 136
- Kapitel 137
- Kapitel 138
- Kapitel 139
- Kapitel 140
- Kapitel 141
- Kapitel 142
- Kapitel 143
- Kapitel 144
- Kapitel 145
- Kapitel 146
- Kapitel 147
- Kapitel 148
- Kapitel 149
- Kapitel 150
- Kapitel 151
- Kapitel 152
- Kapitel 153
- Kapitel 154
- Kapitel 155
- Kapitel 156
- Kapitel 157
- Kapitel 158
- Kapitel 159
- Kapitel 160
- Kapitel 161
- Kapitel 162
- Kapitel 163
- Kapitel 164
- Kapitel 165
- Kapitel 166
- Kapitel 167
- Kapitel 168
- Kapitel 169
- Kapitel 170
- Kapitel 171
- Kapitel 172
- Kapitel 173
- Kapitel 174
- Kapitel 175
- Kapitel 176
- Kapitel 177
- Kapitel 178
- Kapitel 179
- Kapitel 180
- Kapitel 181
- Kapitel 182
- Kapitel 183
- Kapitel 184
- Kapitel 185
- Kapitel 186
- Kapitel 187
- Kapitel 188
- Kapitel 189
- Kapitel 190
- Kapitel 191
- Kapitel 192
- Kapitel 193
- Kapitel 194
- Kapitel 195
- Kapitel 196
- Kapitel 197
- Kapitel 198
- Kapitel 199
- Kapitel 200
- Kapitel 201
- Kapitel 202
- Kapitel 203
- Kapitel 204
- Kapitel 205
- Kapitel 206
- Kapitel 207
- Kapitel 208
- Kapitel 209
- Kapitel 210
- Kapitel 211
- Kapitel 212
- Kapitel 213
- Kapitel 214
- Kapitel 215
- Kapitel 216
- Kapitel 217
- Kapitel 218
- Kapitel 219
- Kapitel 220
- Kapitel 221
- Kapitel 222
- Kapitel 223
- Kapitel 224
- Kapitel 225
- Kapitel 226
- Kapitel 227
- Kapitel 228
- Kapitel 229
- Kapitel 230
- Kapitel 231
- Kapitel 232
- Kapitel 233
- Kapitel 234
- Kapitel 235
- Kapitel 236
- Kapitel 237
- Kapitel 238
- Kapitel 239
- Kapitel 240
- Kapitel 241
- Kapitel 242
- Kapitel 243
- Kapitel 244
- Kapitel 245
- Kapitel 246
- Kapitel 247
- Kapitel 248
- Kapitel 249
- Kapitel 250
- Kapitel 251
- Kapitel 252
- Kapitel 253
- Kapitel 254
- Kapitel 255
- Kapitel 256
- Kapitel 257
- Kapitel 258
111
Nach der Verlobung des Fürsten Andree mit Natalie empfand Peter ohne sichtlichen Anlaß plötzlich die Unmöglichkeit, sein früheres Leben fortzusetzen. So fest er auch von den Wahrheiten überzeugt war, die ihm sein Freund Joseph Alexejewitsch geoffenbart hatte, so freudig er sich auch in der ersten Zeit der innerlichen Arbeit der Selbstvervollkommnung widmete – nach der Verlobung des Fürsten Andree mit Natalie und nach dem Tode von Joseph Alexejewitsch hatte dieses Leben plötzlich allen Reiz für ihn verloren. Er hörte auf, sein Tagebuch zu führen, mied die Gesellschaft der Freimaurer, besuchte wieder den Klub, trank viel, schloß sich wieder an leichtsinnige Lebemänner an und führte ein solches Leben, daß seine Frau nötig fand, ihm ernste Vorwürfe zu machen. Peter fühlte, daß sie im Recht war, und um seine Frau nicht zu kompromittieren, reiste er nach Moskau.
Sobald er in Moskau seinen großen Palast mit den vertrockneten Fürstinnen und der großen Dienerschaft betrat, fühlte er sich ruhig und behaglich wie in einem altgewohnten, schmutzigen Schlafrock. Von der Gesellschaft wurde er freudig empfangen. Für die Moskauer Welt war Peter der liebenswürdigste, gutherzigste, klügste, heiterste und großherzigste Sonderling, ein echt russischer großer Herr nach alter Art. Seine Börse war immer leer, weil sie allen offen stand. Benefize, schlechte Gemälde und Statuen, Wohltätigkeitsgesellschaften, Zigeuner, Schulen, Festessen, Gelage, Kirchen, Bücher – nichts und niemand wurde abgewiesen, und wenn er nicht zwei Freunde gehabt hätte, welche viel Geld von ihm entlehnten und ihn unter ihre Vormundschaft nahmen, so hätte er alles weggegeben. Er versäumte kein Diner, keine Abendgesellschaft im Klub. Sowie er nur seinen gewohnten Platz auf einem Diwan einnahm, nach den ersten beiden Flaschen Margaux, bildete sich eine Gruppe um ihn, in welcher Gespräch, Streit und Scherzreden nicht aufhörten. Wenn er sich nach dem Abendessen mit gutmütigem Lächeln erhob, um der Bitte der lustigen Gesellschaft mitzufahren zu entsprechen, wurde er mit Freudenrufen fortgeführt. Er tanzte auf den Bällen, wenn es an Tänzern fehlte. Die jungen Damen liebten ihn dafür, weil er, ohne ihnen den Hof zu machen, gegen alle gleich liebenswürdig war, besonders nach dem Abendessen.
»Er ist entzückend und hat kein Geschlecht«, sagten sie unter sich auf französisch.
Wie hätte er sich entsetzt, wenn man ihm vor sieben Jahren, als er eben aus dem Ausland zurückkam, gesagt hätte, er brauche nichts zu suchen und zu denken, sondern nur sich im längst vorgezeichneten Geleise fortzubewegen, und wie er sich auch drehen möge, er werde immer ebenso sein, wie alle in seiner Lage. Er hätte nicht daran glauben können! Hatte er nicht damals von ganzer Seele gewünscht, die Republik in Rußland einzuführen, bald Napoleon, bald ein Philosoph, bald ein Taktiker, der Besieger Napoleons zu sein? Hatte er nicht die Überzeugung von der Möglichkeit und den glühenden Wunsch gehegt, das lasterhafte Menschengeschlecht zu bessern und für sich selbst die höchste Stufe der Vollkommenheit zu erreichen? Hatte er nicht Schulen und Krankenhäuser errichtet und seine Bauern freigelassen?
Statt dessen war er jetzt der reiche Gemahl einer untreuen Frau, ein Feinschmecker und Trinker, der über die Obrigkeit murrte, ein allgemein beliebtes Mitglied des englischen Klubs von Moskau und der moskauischen Gesellschaft überhaupt. Lange konnte er sich nicht mit dem Gedanken versöhnen, daß er jetzt nichts weiter als ein verabschiedeter Kammerherr sei und diesem Typus angehöre, den er vor sieben Jahren so tief verachtet hatte.
Er wurde nicht mehr wie früher von Augenblicken der Verzweiflung und des Lebensüberdrusses befallen; aber dieselbe Krankheit, die sich früher in scharfen Anfällen äußerte, lag in ihm und verließ ihn keinen Augenblick. »Wozu? Warum? Was geht in der Welt vor?« fragte er sich oftmals am Tage. Er wußte aus Erfahrung, daß es auf diese Fragen keine Antwort gab, und griff dann hastig zu einem Buch, um sich davon loszumachen, oder er eilte in den Klub.
»Helene, welche niemals etwas geliebt hat außer ihrem eigenen Körper«, dachte Peter, »und eine der dümmsten Frauen in der Welt ist, erscheint den Leuten begabt mit Geist und der höchsten Verfeinerung, und alles verneigt sich vor ihr. Napoleon wurde von allen verachtet, bis er eines Tages ein großer Mann war. Die Spanier sandten Dankgebete zum Himmel durch ihre katholischen Priester dafür, daß sie am 14. Juni die Franzosen besiegt haben, die Franzosen aber sandten durch dieselbe katholische Geistlichkeit Dankgebete nach oben dafür, daß sie am 14. Juni die Spanier besiegt haben. Meine Brüder, die Freimaurer, schwören, sie seien bereit, alles für den Nächsten zu opfern, und zahlen nicht ihre Beiträge von einem Rubel zu den Sammlungen für die Armen, intrigieren gegeneinander, zerbrechen sich die Köpfe über einen echten schottischen Teppich und über einen Aktus, der für niemand nötig ist und dessen Sinn niemand versteht, auch der nicht, der ihn geschrieben hat.« Er hatte die unglückliche Fähigkeit vieler, besonders russischer Leute, an die Möglichkeit des Guten und der Wahrheit zu glauben, dabei aber doch zu deutlich das Böse und die Lüge im Leben wahrzunehmen, um ernsthaften Anteil am Leben nehmen zu können. Aber er mußte doch leben und eine Beschäftigung haben, es war zu schrecklich, unter dem Druck dieser ungelösten Lebensfragen zu bleiben, und er gab sich den Zerstreuungen hin, nur um jene zu vergessen. Er besuchte Gesellschaften aller Art, trank viel, kaufte Bilder, baute und las alles, was ihm in die Hände fiel. Kaum hatte ihm der Diener beim Nachhausekommen den Mantel abgenommen, so griff er schon nach einem Buch und las, bis er einschlief. Wein zu trinken wurde ihm immer mehr eine physische und zugleich geistige Notwendigkeit. Obgleich ihm die Ärzte sagten, bei seiner Korpulenz sei der Wein für ihn gefährlich, trank er doch sehr viel. Erst wenn er einige Gläser Wein in seinen großen Schlund hinabgegossen hatte, empfand er eine angenehme Wärme, eine Zärtlichkeit für seine Nebenmenschen. Erst wenn er eine oder zwei Flaschen getrunken hatte, erkannte er in unbestimmter Weise, daß jener schrecklich verwirrte Knoten des Lebens nicht so schrecklich sei, wie ihm sonst schien. Zuweilen dachte Peter daran, daß man ihm erzählt hatte, wie die Soldaten im Kriege, wenn sie im Feuer stehen, ohne etwas tun zu können, sich bemühen, eine unbedeutende Beschäftigung für sich zu finden, um die Gefahr leichter zu ertragen, und so erschienen ihm auch alle Menschen nur bemüht, sich vor der Last des Lebens zu retten durch Ehrgeiz, durch Karten, durch Arbeit an der Gesetzgebung, durch Weiber, durch irgendein Spielzeug, oder durch Pferde, durch Politik, Jagd, Wein oder Staatsangelegenheiten. Nein, es gibt nichts Unbedeutendes und nichts Wichtiges, es ist alles gleich, nur muß man sich vor dem Druck des Lebens retten, so gut man kann.