type | tractate |
author | Adolph von Gerhardt |
title | Handbuch der Homöopathie |
publisher | Verlag Dr. Willmar Schwabe |
printrun | Zwölfte, vollständig neu bearbeitete Auflage |
year | 1929 |
firstpub | 1869 |
corrector | Josef Muehlgassner |
sender | www.gaga.net |
created | 20141110 |
projectid | 9f902f02 |
Navigation:
- Kapitel 43
- Kapitel 1
- Kapitel 2
- Kapitel 3
- Kapitel 4
- Kapitel 5
- Kapitel 6
- Kapitel 7
- Kapitel 8
- Kapitel 9
- Kapitel 10
- Kapitel 11
- Kapitel 12
- Kapitel 13
- Kapitel 14
- Kapitel 15
- Kapitel 16
- Kapitel 17
- Kapitel 18
- Kapitel 19
- Kapitel 20
- Kapitel 21
- Kapitel 22
- Kapitel 23
- Kapitel 24
- Kapitel 25
- Kapitel 26
- Kapitel 27
- Kapitel 28
- Kapitel 29
- Kapitel 30
- Kapitel 31
- Kapitel 32
- Kapitel 33
- Kapitel 34
- Kapitel 35
- Kapitel 36
- Kapitel 37
- Kapitel 38
- Kapitel 39
- Kapitel 40
- Kapitel 41
- Kapitel 42
- Kapitel 43
- Kapitel 44
- Kapitel 45
- Kapitel 46
- Kapitel 47
- Kapitel 48
- Kapitel 49
- Kapitel 50
- Kapitel 51
- Kapitel 52
- Kapitel 53
- Kapitel 54
- Kapitel 55
- Kapitel 56
- Kapitel 57
- Kapitel 58
- Kapitel 59
- Kapitel 60
- Kapitel 61
- Kapitel 62
- Kapitel 63
- Kapitel 64
- Kapitel 65
- Kapitel 66
- Kapitel 67
- Kapitel 68
- Kapitel 69
- Kapitel 70
- Kapitel 71
- Kapitel 72
- Kapitel 73
- Kapitel 74
- Kapitel 75
- Kapitel 76
- Kapitel 77
- Kapitel 78
- Kapitel 79
- Kapitel 80
- Kapitel 81
- Kapitel 82
- Kapitel 83
- Kapitel 84
- Kapitel 85
- Kapitel 86
- Kapitel 87
- Kapitel 88
- Kapitel 89
- Kapitel 90
- Kapitel 91
- Kapitel 92
- Kapitel 93
- Kapitel 94
- Kapitel 95
- Kapitel 96
- Kapitel 97
- Kapitel 98
- Kapitel 99
- Kapitel 100
- Kapitel 101
- Kapitel 102
- Kapitel 103
- Kapitel 104
- Kapitel 105
- Kapitel 106
- Kapitel 107
- Kapitel 108
- Kapitel 109
- Kapitel 110
- Kapitel 111
- Kapitel 112
- Kapitel 113
- Kapitel 114
- Kapitel 115
- Kapitel 116
- Kapitel 117
- Kapitel 118
- Kapitel 119
- Kapitel 120
- Kapitel 121
- Kapitel 122
- Kapitel 123
- Kapitel 124
- Kapitel 125
- Kapitel 126
- Kapitel 127
- Kapitel 128
- Kapitel 129
- Kapitel 130
- Kapitel 131
- Kapitel 132
- Kapitel 133
- Kapitel 134
- Kapitel 135
- Kapitel 136
- Kapitel 137
- Kapitel 138
- Kapitel 139
- Kapitel 140
- Kapitel 141
- Kapitel 142
- Kapitel 143
- Kapitel 144
Geschwüre. Ulcera
Es sind dies eiternde, offene Schäden, die nicht, wie die Wunden, die Neigung zu heilen haben; daher ist ihr Verlauf chronisch, bisweilen intermittierend, zu bestimmten Zeiten im Jahre wiederkehrend, mit anderen Krankheiten abwechselnd, oder mit Rotlauf vergesellschaftet; meist fieberlos, oft mit Störungen der Darmfunktionen in Verbindung. Die Ausbreitung der Geschwüre geschieht gewöhnlich durch Aufschießen von Eiterblasen an den Rändern der Eiterstellen in fortkriechender Weise, gewöhnlich mit Rötung und Wulstung des frischen Randes. Die befallene Stelle wird bei längerer Dauer dick, hart, runzlig, rissig, mißfarbig, schwillt wassersüchtig an und ist oft mit sehr stinkendem, tief in das Fleisch fressendem Eiter angefüllt, brennend, juckend und fressend, wie z. B. die Salzflüsse der Unterschenkel, die besonders aus herpetischen Hautkrankheiten (Ekzema) entstehen. Bei den Frauen sind Unterschenkelgeschwüre häufig die Folge von Krampfadern (Varices), die dem behinderten Rückflusse des venösen Blutes ihr Entstehen verdanken. Diese sog. varicösen Geschwüre sind sehr hartnäckig und heilen schwer oder erneuern sich leicht, besonders wenn sich der Kranke nicht ruhig in horizontaler Lage verhalten kann. Wird das Übel vernachlässigt, dann entwickeln sich leicht umfangreiche Wundflächen mit wulstigen, speckigen, roten oder bläulichen Rändern und tiefgehender Vereiterung.
Da das Übel von tieferliegenden Leiden und von Ernährungsstörungen des Körpers abhängt, so wäre es eine große Torheit, wenn man es durch Anwendung äußerer Mittel, durch Pflaster oder Salben, heilen wollte; denn wenn durch eine solche Kurmethode auch wirklich die Krankheit äußerlich beseitigt wird, so bleibt doch ein um so größeres Siechtum in inneren Organen zurück: Lungen-, Leber- und andere Krankheiten, die ein frühes Dahinsiechen verursachen, sind häufig Folgen solcher Kuren. – Die atonischen Fußgeschwüre (Geschwüre aus Schwächezuständen) werden durch schwächende Krankheiten, schlechte Lebensweise und besonders Altersschwäche verursacht.
Die Homöopathie heilt die Geschwüre durch innere Mittel und kehrt sich dabei nicht an die verschiedenen Namen, die die alte Schule ihnen beigelegt hat, sondern hält sich einzig an die aus der allgemeinen Erkrankung des Organismus und die aus den Geschwüren selbst hervorgehenden Anzeichen.
Sulfur: Paßt fast immer bei chronischen Geschwüren mit erhabenen, wulstigen, oft mit Granulationen oder warzenähnlichen Wucherungen umgebenen Rändern. Die Geschwüre sondern einen gelben, dicken oder übelriechenden, dünnen Eiter ab und verursachen oft einen juckenden, brennenden oder nagenden Schmerz. Ist wassersüchtige, ödematöse Geschwulst der Beine zugegen, dann geben wir noch von Zeit zu Zeit China, und hilft dieses in 4 bis 6 Wochen nicht, dann verabfolgen wir Arsenicum.
Arsenicum: Faulige Geschwüre mit hohen Rändern oder rotem, glänzendem Hofe, speckigem oder schwarzblauem Grunde, mit Brennen oder reißenden Schmerzen, besonders beim Kaltwerden der Teile, mit wildem Fleische oder fauligem Aussehen und stinkende Jauche absondernd; bei leichtem Bluten beim Verbinden und wassersüchtiger Geschwulst der Teile; bei krebsartigen Geschwüren oder auch bei solchen, die in Brand überzugehen drohen. A. ist Hauptmittel bei Wunden und Geschwüren, die entstanden sind durch Tiergifte oder durch Vergiftung der Blutmasse durch kranke Tierstoffe, z. B. durch Milzbrandgift, Leichengift usw. Arsenicum paßt ferner auch bei atonischen, von Altersschwäche herrührenden Unterschenkelgeschwüren; desgleichen Carbo vegetabilis und Secale cornutum. Auf derartige Geschwüre kann man auch Umschläge von einer schwachen Wasserfenchelabkochung applizieren oder 6 Tropfen der Wasserfencheltinktur ( Phellandrium aquaticum) auf 1 Eßlöffel voll warmen Wassers. In vielen Fällen bewährte sich auch die Hydrastis-Tinktur, in derselben Weise angewandt.
Carbo vegetabilis: Bei übelriechendem Eiter und brennenden, abends oder nachts schlimmer werdenden Schmerzen. Das Geschwür greift rasch um sich, Eiterpusteln bilden sich rundherum, und die angrenzenden Teile sind geschwollen und entfärbt; das Geschwür sieht dunkelblau, rot oder gefleckt aus. Auch bei den sog. venösen Geschwüren, d. h. bei solchen, wo Venenerweiterungen vorhanden sind; in einzelnen Fällen können hierbei auch Arsenicum oder Calcium carbonicum gute Dienste leisten.
Hepar sulfuris: Mit diesem Mittel haben wir sehr oft bei Unterschenkelgeschwüren die besten Resultate erzielt. Es bewährt sich besonders bei flachen, nach der Peripherie hin sich verbreitenden Wunden mit entzündlichen Rändern und vieler Eiterabsonderung.
Echinacea: Ist als ein sicher wirkendes, daher höchst beachtenswertes Heilmittel, sowohl zum innerlichen Gebrauche, als auch äußerlich, als Umschlag, bei indolenten, übelriechenden Geschwüren (nach Hepar sulfuris) empfohlen worden. Äußerlich gebe man 10 Tropfen der 1. Verdünnung auf 1 Eßlöffel Wasser, womit man die Wunde täglich reinigt; auch als Umschlag darauf.
Hydrastis canadensis: Ekzematöse Geschwüre, nach der Tiefe und Breite sich ziehend, mit wulstigen Rändern, prickelndem Brennen und starkem Nässen. Bei tiefen Störungen der vegetativen Sphäre, bei dyskrasischen Zuständen.
Lachesis: Große und rasch um sich greifende Geschwüre mit wulstigen, hochroten Rändern und stinkender Eiterabsonderung. Sonst ähnlich der Carbo vegetabilis.
Lycopodium: Geschwüre mit schwieligen und umgestülpten Rändern, auch flache Geschwüre, zitronengelben Eiter absondernd, mit unerträglichem Jucken und Brennen, besonders in der Bettwärme.
Mercurius solubilis: Wenn das Geschwür tief einfrißt und einen dünnen, schlecht riechenden Eiter absondert.
Acidum nitricum: Nicht nur sehr hilfreich gegen trockene Warzen, die sich oft am Halse, Rücken usw. vorfinden, sondern auch sehr wirksam bei nässenden, warzenartigen Erhöhungen, die eiternde, nicht heilen wollende Wunden bilden.
Silicea: Geschwüre mit dünnem oder dickem, schlecht aussehendem, scharfem, übelriechendem, mit Blut gemischtem Eiter und unvollkommenen Granulationen. Bei klopfenden oder hämmernden Schmerzen in der Geschwürfläche, besonders nachts den Schlaf störend.
Bei zu üppigem Aufschießen oder leichtem Bluten der Granulationen bedienen wir uns der wässerigen Auflösung des Alauns oder auch des salpetersauren Silbers (1:10), womit wir das Geschwür mittelst weichen Pinsels bestreichen, und legen dann einen sterilen Gazeverband an, um das Geschwür vor Verunreinigung zu schützen. Jedenfalls vergleiche man noch Phytolacca, Seite 118.
Ein Haupterfordernis ist, daß die Geschwüre möglichst rein gehalten, öfters mit reinem, lauwarmem Wasser oder unverdünntem Wasserstoffsuperoxyd behutsam ausgewaschen und wenigstens 1mal täglich verbunden werden; auch kann man, um das Festkleben des Verbandes an die Wundränder zu vermeiden, ganz dünn Lenicet-Vaseline auf das Geschwür bringen. Bei gutartigen, nicht von Krampfadern, Altersschwäche, Dyskrasien und konstitutionellen Krankheiten, z. B. Krebs, herrührenden Geschwüren legen wir einen luftdichten Verband an, da durch das öftere Ablösen der Leinwand die Wunde stets von neuem gereizt wird und durch das Einströmen der Luft der zum Heilprozesse dienliche Eiter faulig wird und weiterfrißt. Die folgenden Auflagen lassen wir mit verdünnter, 1- bis 2 %iger Karbolsäure mäßig anfeuchten; diese verhindert die Fäulnis und den dadurch erzeugten Gestank. Nie darf die Wunde mit der Karbolsäure in direkte Berührung kommen, da diese den Heilprozeß entschieden verzögert. Sobald der Patient Schmerzen unter dem Verbände empfindet, muß sofort die ganze Auflage abgenommen und, nachdem die geschwürige Stelle mit warmem Wasser, dem wir noch einige Tropfen von der Hydrastis-Tinktur (6 Tropfen auf 1 Eßlöffel Wasser) hinzusetzen, gut gereinigt ist, durch neue Wundwatte ersetzt werden. – Ehe wir mit dem luftdichten Verbande beginnen, scheint es uns, besonders bei alten Wunden, zweckmäßig, vorher mehrere Wochen hindurch Sulfur oder Hepar sulfuris dem Patienten zu verabfolgen. Hierdurch werden sowohl die Konstitutionsverhältnisse, als auch die Eiterabsonderung verbessert, und der später anzulegende Verband wird erfahrungsgemäß eher vertragen. Unter Fortgebrauch der erwähnten Mittel, denen sich unter Umständen noch Arsenicum oder Calcium arsenicosum anschließen können, wird die Heilung der Wunde in einigen Monaten vollendet sein. – Bei den durch Altersschwäche oder Dyskrasien erzeugten Geschwüren, deren Zuheilen überhaupt nicht beschleunigt werden darf, wenden wir keinen luftdichten Verband an, sondern lassen diese fleißig mit verdünnter Hydrastis-Tinktur auswaschen und beschränken uns allein auf den Gebrauch interner Mittel. – In neuester Zeit hat man bei Geschwüren mit übelriechender, also durch Fäulnisbakterien verursachter Eiterung als ungefährliches Verbandsmittel die gelöste essigsaure Tonerde (Aluminium-Acetatlösung), die sich als eine klare, farblose Flüssigkeit darstellt, empfohlen. Man befeuchtet mit einer ½- bis 1 %igen Lösung die Umschläge, weiche Leinwand oder Verbandgaze.
Besonders hartnäckig sind die varicösen Unterschenkelgeschwüre, weil sie ihren Grund nur in dem Vorhandensein von Krampfadern (Varices) haben, also dem behinderten Rückflüsse des venösen Blutes ihre Entstehung verdanken; sie heilen leicht durch Liegen, andere Male durch Kompression (Einwicklung des Fußes mittels Flanellbinden). Wo sie vertragen wird, legen wir mit verdünnter Hamamelis-Tinktur befeuchtete Watte auf die Wunde und dann die Binde darüber. (Auf jeden Eßlöffel voll abgekochten Wassers nehmen wir 8 bis 10 Tropfen der Tinktur.) Zum innerlichen Gebrauch empfehlen wir als vorzüglich wirksam Calcium fluoratum und Natrium sulfuricum gegen Krampfadergeschwüre.
Über die von den Ärzten und Wundärzten soviel angewandte und wegen ihrer vermeintlichen antiseptischen Wirkung gepriesene Karbolsäure läßt sich Dr. Paul Niemeyer, nachdem er in einem längeren Aufsatze in bezug auf das chirurgische Strebertum und seine verderbliche »Schneidewut« eine sehr scharfe Kritik ausgeübt hat, also vernehmen: »Die Eigenschaft, die vom hygienischen Standpunkte das Karbol abweisen heißt, besteht in seiner sich gleich durch den Geruch verratenden Atemwidrigkeit und Giftigkeit. Ohne Chirurg, ja selbst ohne Arzt zu sein, braucht man sich nur der Karbolsäurevergiftungs-Epidemie zu erinnern, die bei dem Magdeburger Choleraausbruche 1875 neben der Hauptseuche ›wütete‹: Schwindelgefühl und Brechreiz spiegelten dem Unkundigen oft genug einen leichten Choleraanfall vor, der sich aber durch bloßen Luftwechsel im Umsehen gab. Selbst noch in der Ferne rochen Kleider und Gepäckstücke des Flüchtlings nach ›dem Zeuge‹. Der atembenehmende Duft des roten Streupulvers drohte aus den Spitälern auch in die Wohn- und Kinderstuben verpflanzt zu werden.
Frische, reine Luft ist das Hauptrezept der Hygiene. Weit größeres Gewicht als auf Antiseptik von außen her, legt sie auf Antiseptik, zu deutsch Fäulnisverhinderung, von innen her durch Fernhaltung der sog. stärkenden Kost (Fleischspeise, Fleischbrühe, Wein, Bier u. dgl.). Wir, die wir im Geruchssinne den ersten Wächter der Gesundheit schätzen, wollen den Gestank nicht im Hause und in der Tasche haben.«