type | letter |
author | Julie de Lespinasse |
title | Die Liebesbriefe der Julie de Lespinasse |
publisher | Lehmannsche Verlagsbuchhandlung |
printrun | 1. bis 5. Tausend |
year | 1920 |
translator | Arthur Schurig |
corrector | reuters@abc.de |
sender | www.gaga.net |
created | 20060904 |
projectid | efb38b95 |
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10.
Mittwoch abends, den 14. Juli 1773.
Mein Gott, wie liebenswürdig Sie sind! Welche Überraschung für mich, daß Sie aus so weiter Ferne zu mir zurückkehren! Wo Sie doch so beschäftigt sind und in allerhand Zerstreuungen stecken! Wie kommt es, daß Sie jemandes noch gedenken, der sich vor Ihnen keines anderen Verdienstes rühmen darf, als daß er Ihnen die Fähigkeit gezeigt hat, lieben und leiden zu können? Wozu sollten Ihnen so trübselige Fähigkeiten je nützen? Sie haben ja keine Sehnsucht danach, geliebt zu werden, und es täte Ihnen leid, mir Kummer zu machen. Welchen Wert für Sie könnte wohl ein Verhältnis haben, dessen Vorteile alle auf meine Seite fallen? Sie stellen Fragen an mich, die ich nicht imstande bin zu beantworten. Bei Gott, es gehört Fassung dazu, auf das Verhör eines Gleichgültigen Antwort zu geben. Mein Unglück, die endlosen Schmerzen haben mich in eine Art Stumpfsinn versetzt, der mich der Denkfähigkeit beraubt. Mir bleibt grade noch so viel Vernunft, als dazu gehört, über mich selber das Urteil zu fällen, alle meine Wallungen zu verdammen, über alle meine Gefühle bekümmert zu sein. Meine Seele liegt in ewigem Fieber von solcher Heftigkeit, daß ich zuweilen dem Wahnsinn nahe bin. Ach, wenn es wahr wäre, daß aus dem Übermaß des Übels mitunter Gutes entsteht, so müßte ich Hoffnung auf etwelche Erleichterung haben.
Ich kann den mannigfachen Stürmen, die mein Herz erschüttern, nicht mehr standhalten. Nein, ich zeihe mich der Schwachheit, die mich verleitet, Ihnen mein Leid zu offenbaren. Es scheint mir ganz unglaubhaft, daß ich Ihre Teilnahme erwecke. Ich habe kein Recht auf Ihr Mitleid, und wenn ich es hätte, mit meinem Schmerze könnte ich's mir doch nicht erhalten. Sie schulden mir nichts, und ich will Ihnen das beweisen. Ich hasse, ich verabscheue das Verhängnis, das mich dereinst gezwungen hat, Ihnen jenes erste Briefchen zu schreiben. Und in diesem Augenblick vielleicht, reißt es mich mit ebensolcher Macht hin.
Ich wollte nichts von mir schreiben, ich wollte Ihnen nur schlicht dafür danken, daß Sie mir noch vor Ihrer Ankunft in Wien geschrieben haben. Ich wollte Ihnen eine Antwort geben, nichts weiter. Von Ihren Lobesworten nehme ich nicht eins an. Sie werden verwundert sein: es ist für mich kein Lob. Was liegt mir daran, ob Sie finden, ich sei nicht dumm? Es ist seltsam, aber dennoch wahr: Sie sind der Mann auf der ganzen Welt, dem zu gefallen ich am wenigsten trachte. Erklären Sie mir diese Sonderlichkeit! Erklären Sie mir auch, warum ich Sie mit unausstehlicher Strenge beurteile, warum ich mich in jedem Augenblick auf einer Ungerechtigkeit Ihnen gegenüber ertappe, warum ich nicht an Ihre Freundschaft glaube und mit Ihnen über jedes freundschaftliche Wort hadre! Und schließlich, warum ich in Versuchung gerate, mich gekränkt zu fühlen, wenn Sie mir offensichtlich etwas Nettes sagen wollen?
Gewiß, mein Verstand sagt mir, daß ich Sie um Verzeihung bitten sollte, denn mein Denken beleidigt Sie unaufhörlich, und mein Herz wehrt sich des einzigen Gefühls, mit dem ich vor Ihnen Gnade finden könnte. Doch nein, ich will keine. Beurteilen Sie mich auf das strengste, machen Sie sich meine Ungerechtigkeit so recht klar, fassen Sie meine Inkonsequenz voll ins Auge, und überlassen Sie sich gänzlich der Stimmung, die alles das in Ihnen erwecken muß.
Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt: wir werden schwerlich eine Freundschaft im Sinne Montaignes und Laboëties zuwege bringen. Das waren gleichmütige Menschen, die in sanften Eindrücken schwammen. Was sie gaben, das empfingen sie auch. Wir dagegen, wir sind beide krank, freilich mit dem Unterschiede, daß Sie ein Kranker mit Übermaß an Kraft und Vernunft sind, die Sie so zu regieren wissen, daß Sie sich immerdar der vortrefflichsten Gesundheit erfreuen werden, während mich eine tödliche Krankheit befallen hat, bei der alle angewandten Linderungsmittel in Gift umschlagen und nur dazu dienen, mir meine Schmerzen noch fühlbarer zu machen. Mein Leid ist von wunderlicher Art; es hat mir meinen gesunden Verstand verdorben und meine Urteilskraft getrübt: ich möchte gar nicht wieder gesunden, ich hege nur die Sehnsucht zu sterben.
Bei Gott, es wäre mir gräßlich, eine so weite Reise zu machen, innerhalb von zwei Monaten hundert Bücher zu verschlingen, ein so gewichtiger Mensch zu sein wie Sie, vorbestimmt zu so viel Erfolg und so viel Ruhm! Wenn Sie wüßten, wie klein meine Seele ist! Ich kenne nur ein einziges Ding in der Welt, das der Mühe lohnt, sich damit zu beschäftigen. Cäsar, Voltaire, Friedrich der Große erscheinen mir wohl zuweilen wert der Bewunderung, aber nie des Neides. Sie würden zu sehr entsetzt sein, wenn ich Ihnen sagte, was für ein Schicksal ich allem vorziehen möchte, was Leben heißt. Mit Felix im »Polyeukt« kann ich sagen:
Unglaublich, wie mein Fühlen ewig schwankt;
Bald bin ich grausam, bald des Mitleids voll,
Mitunter kleinlich gar ....
Indessen, Sie würden diese Sprache nicht begreifen, und Sie würden schamrot darüber, daß Sie einmal den Gedanken hegen konnten, meine Seele hätte irgendwelche Beziehungen zu der Ihrigen. Sie gönnen mir zuviel Ehre, wenn Sie mich bis zu sich erheben. Allein hüten Sie sich gar wohl, mich auf die Seite der Frauen zu stellen, die Sie auf das höchste schätzen. Sie würden ihnen wie mir wehe tun. Was ich eigentlich wert bin, davon haben Sie keine Ahnung. Denken Sie doch daran, daß ich zu leiden und zu sterben weiß, und sehen Sie dann zu, ob ich allen den Frauen gleiche, die sich darauf verstehen, zu gefallen und sich zu belustigen. Das eine widerstrebt mir ebenso, wie mir das andere unmöglich wäre. Ich hätte keinen Dank für jemanden, der zu mir käme, um mich zu zerstreuen und mich abzulenken. Gewisse Dinge werde ich um alles nicht aus dem Sinn lassen. Die sogenannten Zerstreuungen und Vergnügungen betäuben und ermüden mich nur. Und wenn irgendetwas die Macht hätte oder gehabt hätte, mich einen Augenblick meinem Unglück zu entziehen, ich glaube, weit entfernt ihm dafür Dank zu wissen, müßte ich es darob hassen. Was denken Sie darüber, Sie, der Sie mir von meinem »Glücke« vorgaukeln? Wenn es von Ihrer Freundschaft abhinge, so wollten Sie es mir bringen, sagen Sie. Nein, mein Bester, Ihre Freundschaft wird mein Glück nicht sein. Niemals. Sie wird mir Trost bringen, vielleicht auch Leid, aber ich weiß nicht, ob ich dessen froh oder traurig sein werde?
Der König von Preußen hat einen allerliebsten Brief an d'Alembert geschrieben. Er ist voller Lob für Sie und sehr gespannt darauf, den »Konnetabel« vorgelesen zu bekommen. Ich bin überzeugt, er wird von Ihrem Stück entzückt sein. Es ist in vieler Hinsicht ganz auf den Ton seiner Seele gestimmt.
Um Gottes willen, erwähnen Sie mir keine Zeitungsneuigkeiten wieder! Ich lese keine. Alles was die Bewunderung des großen Haufens erregt, ist mir genau so widerwärtig wie Ihnen. Voll Mitleid und Schmerz sehe ich, daß fast alle Menschen geborene Krämer und Knechte sind. Aber Sie sind mein Zeuge, daß das, was mein Herz erfüllt, edler, erhabener und größer ist als das, was der dumme Pöbel respektiert und bewundert.
Leben Sie wohl, schreiben Sie mir öfters und nicht bloß ein paar Worte. Machen Sie das mit Ihren Bekannten so! Es gibt sogar Freunde, die damit zufrieden sein werden, aber ich bin so schwer zu befriedigen.
Melden Sie mir, ob Sie meine Briefe empfangen haben.