pfad | /musil/mannohne/mannohne.html |
type | fiction |
author | Robert Musil |
title | Der Mann ohne Eigenschaften. Erstes Buch |
publisher | Rowohlt Verlag |
printrun | 1.-50. Tausend |
editor | Adolf Frisé |
year | 1970 |
isbn | 3498092766 |
firstpub | 1930 - 1932 |
corrector | reuters@abc.de |
secondcorrector | gerd.bouillon@t-online.de |
thirdcorrector | Herbert Niephaus |
sender | www.gaga.net |
created | 20111130 |
modified | 20141020 |
lastmodified | 20161104 |
projectid | edede0d8 |
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93
Dem Zivilverstand ist auch auf dem Weg der Körperkultur schwer beizukommen
Der General saß schon lange Zeit auf einem der Stühle, die man rings um den geistigen Turnierplatz an die Wand gerückt hatte, sein »Gönner«, wie er Ulrich gern nannte, neben ihm, und zwischen beiden war ein Stuhl frei, auf dem zwei labende Kelchgläser standen, die sie am Büfett erbeutet hatten. Des Generals hellblauer Rock hatte sich im Sitzen emporgeschoben und bildete über dem Bauch Runzeln wie eine besorgte Stirn. Die beiden Männer schwiegen und hörten einem Gespräch zu, das vor ihnen geführt wurde. »Beauprés Spiel« sagte jemand »muß man genial nennen; ich habe ihn im Sommer hier und im Winter zuvor an der Riviera spielen gesehn. Wenn er einen Fehler macht, hilft ihm das Glück. Er macht sogar oft Fehler, sein Spiel widerspricht im Aufbau einem realen Tenniswissen; aber dieser gottbegnadete Mensch steht außerhalb normaler Tennisgesetze.«
»Ich ziehe wissenschaftliches Tennis dem intuitiven vor,« wurde eingewendet »Braddock zum Beispiel. Vielleicht gibt es keine Vollkommenheit, aber Braddock ist nahe dabei.«
Der erste Redner entgegnete: »Das Genie Beauprés, sein planloses, geniales Durcheinander ist auf dem Höhepunkt, wenn das Wissen versagt!«
Ein dritter Mann: »Genie ist vielleicht doch etwas zu viel gesagt.«
»Wie wollen Sie es nennen? Es ist das Genie, das einem Mann im unwahrscheinlichsten Moment die richtige Art der Ballbehandlung eingibt!«
»Ich würde auch sagen,« half der Braddockianer »Persönlichkeit muß sich zeigen, ob ein Tennisschläger in der Hand gehalten wird oder Völkerschicksale.«
»Nein, nein; Genie ist zuviel!« verwahrte sich der Dritte.
Der Vierte war ein Musiker. Er sagte: »Sie haben ganz unrecht. Sie übersehen das reale Denken, das im Sport liegt, weil Sie offenbar noch an die Überschätzung des logisch-systematischen gewöhnt sind. Das ist ungefähr ebenso veraltet wie das Vorurteil, daß Musik eine Gefühlsbereicherung sei und der Sport eine Willensschule. Aber reine Bewegungsleistung ist so magisch, daß der Mensch sie nicht ungeschützt vertragen kann; das sehen Sie im Kino, wenn die Musik fehlt. Und Musik ist innere Bewegung, sie fördert die Bewegungsphantasie. Wenn man das Magische an der Musik erfaßt hat, wird man sich nicht eine Sekunde bedenken, dem Sport Genie zuzusprechen; nur Wissenschaft hat kein Genie, das ist Gehirnakrobatik!«
»Also habe ich recht,« sagte der Anhänger Beauprés »wenn ich Braddocks wissenschaftlichem Spiel das Genie abspreche.«
»Sie übersehen,« verteidigte diesen sein Anhänger »daß man da von einer neuen Belebung des Begriffes Wissenschaft ausgehen muß!«
»Welcher von beiden schlägt eigentlich den anderen?« fragte jemand.
Niemand wußte es; beide hatten einander schon öfters besiegt, aber niemand hatte die genauen Zahlen im Kopf.
»Fragen wir Arnheim« schlug jemand vor.
Die Gruppe löste sich auf. Das Schweigen auf den drei Stühlen dauerte an. Endlich sagte General Stumm nachdenklich: »Entschuldige, ich habe die ganze Zeit zugehört, aber alles das könnte man doch auch von einem siegreichen General sagen, die Musik ausgenommen? Warum finden Sie es eigentlich an einem Tennisspieler genial und an einem General barbarisch?« Er hatte, seit ihm sein Gönner den Rat gab, es bei Diotima mit Körperkultur zu versuchen, verschiedene Male darüber nachgedacht, wie er diesen hoffnungsvollen Zugang zu den Zivilideen, trotz seiner ursprünglichen Abneigung dagegen, doch benutzen könnte, aber die Schwierigkeiten waren, wie er leider jedesmal wahrnehmen mußte, auch in dieser Richtung ungewöhnlich groß.