title | Anekdoten unbekannter Autoren |
author | unbekannt |
year | 2017 |
corrector | gerd.bouillon@t-online.de |
type | anecdote |
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Die zwölf Eier
Ein reicher Kaufmann trat in einen Gasthof ein, und da er sehr hungrig war und auch einen großen Magen hatte, bestellte er sich zwölf gekochte Eier. Der Wirt besorgte sie, aber in demselben Augenblick traf ein Eilbote ein, der den Kaufmann in einer dringenden Angelegenheit heimrief. So ließ er die Eier stehen, sprang auf sein Pferd und eilte, ohne sie bezahlt zu haben schleunigst von dannen.
Zehn Jahre nachher begab es sich aber, dass der Kaufmann in demselben Gasthofe wieder einkehrte. Der Wirt erkannte ihn nicht gleich wieder; der Kaufmann aber sagte, er wäre heute nicht zum ersten Male in diesem Hause, vor vielen Jahren hätte er sich hier einmal zwölf Eier kochen lassen – und die wäre er noch schuldig und wollte sie jetzt bezahlen.
»Ja«, sagte der Wirt, »die sind Euch angerechnet und werden Euch auch teuer genug zu stehen kommen.« – »Nun«, sagte der Kaufmann, »allzu schlimm wird es ja wohl nicht werden. Zwölf Eier werde ich ja wohl noch bezahlen können.« – »Das fragt sich«, entgegnete der Wirt, »es wird sich aber bald ausweisen.« Und er forderte eine ungeheure Summe für die zwölf Eier.
Der Kaufmann lachte laut auf, als er dies hörte und verweigerte die Zahlung. Da kam die Sache vor Gericht und der Wirt rechnete dem Richter vor, aus den zwölf Eiern würden zwölf Küchlein gekommen sein, die Küchlein würden wieder Eier gelegt haben, aus denen wieder Küchlein gekommen sein würden – und so fort, was zuletzt den Betrag ausmachte, den der Wirt gefordert hatte.
Der Richter sprach dem Wirt diese Summe auch zu. Ganz erschrocken verließ der Kaufmann den Gerichtssaal, denn sein ganzes Vermögen reichte kaum hin, die Schuld zu zahlen. Wie er nun ganz betrübt einherging, begegnete ihm ein altes Männchen. Das fragte ihn: »Herr, was habt Ihr denn Trauriges erlebt, Ihr macht ja ein Gesicht, als wenn Ihr morgen hingerichtet werden solltet?«
Der Kaufmann antwortete, wozu er ihm das sagen sollte, er könne ihm ja doch nicht helfen. »Wer weiß«, sagte darauf das Männchen, »ich bin ein guter Ratgeber und habe schon manchem aus der Patsche geholfen, klagt mir nur Eure Not!« Da erzählte denn der Kaufmann, wie er um die zwölf Eier ein armer Mann werden sollte. »Wenn's weiter nichts ist«, sagte darauf das Männlein, »so geht nur hin zum Richter und sagt ihm, die Sache müsse noch einmal verhandelt werden. Ihr hättet einen Fürsprecher angenommen. Dann will ich Eure Sache vor Gericht vertreten.« Wer war froher als der Kaufmann! Er tat, was ihm geraten war – und der Richter setzte einen Satz fest, an dem die Verhandlung auf's Neue geführt werden sollte.
Der Gerichtstag kam heran, der Kaufmann erschien rechtzeitig, aber das Männlein war noch nicht da. Die Gerichtsherren, die schon hinter dem grünen Tische saßen, wurden ungeduldig und fragten ihn ein über das andere Mal, wo denn sein Fürsprecher bliebe; denn die Stunde war fast vorbei und sie wollten schon das erste Urteil bestätigen.
Endlich erschien das Männchen und die Richter fragten, weshalb er sie denn so lange hätte warten lassen. Er antwortete: »Ich musste heute noch in einem Garten Erbsen pflanzen – und die wollten gar nicht weich werden.« Da lachten die Richter und der älteste sagte: »Ei, gekochte Erbsen pflanzt man doch nicht, die können ja doch niemals Frucht bringen.« Und das Männchen erwiderte: »Ei, gekochte Eier lässt man doch nie ausbrüten, davon kommen doch keine Küchlein. Darum seid so freundlich, ihr lieben Herren und sprecht ein anderes Urteil. Dieser Kaufmann ist dem Wirte zwölf gekochte Eier schuldig – und die will und soll er auch bezahlen. Weiter aber schuldet er nichts.«
Das leuchtete den Richtern endlich ein und sie hoben das erste Urteil auf. Der Kaufmann bezahlte dem Wirte die zwölf Eier. Als er aber dem Mann danken wollte, war er schon verschwunden.