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type | narrative |
author | Victor Auburtin |
title | Sündenfälle. Feuilletons |
publisher | Rütten und Loening |
editor | Heinz Knobloch |
year | 1970 |
isbn | 3-7466-6061-0-1 |
corrector | reuters@abc.de |
sender | www.gaga.net |
created | 20110428 |
projectid | c12e89c6 |
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Eleusis
Die Sonne geht für Athen hinter dem Berge Hymettos auf. Diesen immerhin beachtenswerten Vorgang, wie die Sonne hinter dem Berge Hymettos aufgeht, diesen Vorgang kann ich jeden Morgen von meinem Bett aus sehen.
Langsam hebt Achill den spiegelblanken Schild hinter dem Berge hoch.
Dann stehe auch ich auf und öffne das Fenster und habe nun rechts von mir den Tempel Parthenon, der rot im Duft des Morgens dasteht. Vor dem Parthenon wiegt sich ein weißer Taubenschwarm auf und nieder.
Ginge es nach mir, so bliebe ich den ganzen Tag – die Essenszeiten natürlich ausgenommen – an meinem Fenster sitzen und betrachtete diese vier Dinge: den Berg, die Sonne, den Tempel und den Taubenschwarm, die meinem Tagesbedarf durchaus genügen würden.
Aber es geht nicht nach mir, sondern nach dem Leser, der einen Artikel über Eleusis wünscht. Und unten wiehert schon das Automobil.
(Doch sei, weil wir gerade davon sprechen, noch schnell eine Anmerkung über östliche Morgenröten eingefügt.
Homer spricht von der rosenfingrigen Eos. Man hat sich über diese Bezeichnung viel philologische Köpfe zerbrochen und schließlich gemeint: in Griechenland sei das so, da gingen fingerartige Strahlen der Sonne vorauf.
Nun habe ich griechische Sonnenaufgänge auf der See und zu Lande gesehen und nichts von Fingern bemerkt. Der berühmte Ausdruck ist verfehlt; er ist nicht einmal schön.
Der Dichter des Buches Hiob spricht von den Wimpern der Morgenröte. Das ist viel großartiger.)
Also nach Eleusis.
Jedem, der hierherkommt, sei geraten, die Tour nach Eleusis, die leicht und bequem auszuführen ist, nicht zu machen. Er wird mir für meinen Rat dankbar sein und mit einer reineren Erinnerung nach Hause zurückkehren.
Der Oberlehrer, der im Gymnasium von Pirna seinen Obersekundanern in sächsischer Sprache von Eleusis erzählt, ist dieser Stadt näher als der Tourist, der sich in ihr selbst befindet.
Der Weg dahin ist freilich lieblich genug. Er führt durch die klaren Berge von Megara auf und nieder und ist die alte heilige Straße der Pilger.
Immer schön einsam, wie es sich geziemt. Stumme, fremde Vögel, die vor dem Wagen aufhuschen; lächerlich hoch bepackte Esel; Pferde mit bunten Emblemen gegen den bösen Blick. Aber wer sollte denn hier einen bösen Blick haben!
Im Gegenteil; die Bauernmädchen, die am Wege Kraut sammeln, lachen und grüßen herüber.
»Was sucht ihr da?« ruft mein Reisegefährte ihnen sprachkundig zu.
»Leontodon«, antworten sie.
Leontodon ist der wissenschaftliche Name unseres Löwenzahn. Die Bauernmädchen gebrauchen hier noch die wissenschaftlichen Namen der Pflanzen.
Dort, wo der Weg das Meer erreicht, steigen wir aus und gehen den Strand der Schlacht von Salamis entlang. Wenigstens ein paar Schritte dieser Straße sollen nicht mit Benzin zurückgelegt sein.
Da hebt mein Freund den Arm, zeigt über das stumpfblaue Meer und sagt: Eleusis.
Erschrocken fahre ich auf; und sehe da drüben einen Haufen von Fabrikschloten und Schuppen, in grauen und gelben Rauch eingehüllt.
Das ist Eleusis, die Stätte der großen, mystischen Ekstase.
Die Stätte der großen, mystischen Ekstase sieht ungefähr so aus wie Stralau-Rummelsburg.
Eleusis produziert jetzt Seife, Wagenschmiere, Maschinenöle, Kolophonium und, irre ich nicht, auch Schmirgelpapier.
Gewiß, Seife ist eine nützliche Sache, obgleich Jahrhunderte, die sauberer waren als wir, die Seife nicht gekannt haben.
Auch Schmirgelpapier mag zu vielen Zwecken gut sein, die mir unbekannt sind. (Ich selbst komme glänzend ohne Schmirgelpapier aus.)
Aber warum denn all das gerade hierher nach Eleusis? Warum sind die Seifenfabriken nicht nach dem Piräus gelegt worden, der eine große, prachtvolle Industriestadt geworden ist und in der niemand nach Verzückungen sucht?
Es gibt gewisse Namen, die von der Spekulation – und darum handelt es sich ja – geschont werden sollten.
Sagen wir es einmal klar in zwei Worten:
Kein verständiger Mensch leugnet den Wert der Maschine; ja, vor einer Schnellzugslokomotive empfindet man eine Art von erschütterndem Respekt, vor dieser Gewalt und Zielbewußtheit.
Aber es bleibt doch so, daß die Nützlichkeit unfeiner ist als der Zierat, und Grillparzers Hero ärgert sich mit Recht, wenn sie im Tempel einen Besen stehen sieht.
Wer einen Rokokosalon besitzt, der stellt in diesen Salon keine Nähmaschine; denn die Nähmaschine ist nützlich, also gemein.
Aber einen alten Spinnrocken kann er sich wohl in seinen Salon stellen. Der alte Spinnrocken ist kostbar, eben weil niemand etwas mit ihm anfangen kann.