type | fiction |
booktitle | Simplicius Simplicissimus |
author | Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen |
year | 1975 |
publisher | Deutscher Taschenbuch Verlag |
address | München |
isbn | 3-538-05098-8 |
title | Simplicius Simplicissimus |
sender | gerd.bouillon@t-online.de |
firstpub | 1667 |
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Das 8. Kapitel
Simplicius gibt sich in die zweite Ehe, trifft seinen Knan an und erfährt, wer seine Eltern gewesen
Ich ließ trefflich zur Hochzeit zurüsten, denn der Himmel hing mir voller Geigen; das Baurengut, darauf meine Braut geboren worden, löste ich nit allein ganz an mich, sondern fing noch dazu einen schönen neuen Bau an, gleich als ob ich daselbst mehr hof- und haushalten hätte wollen, und ehe ich die Hochzeit vollzogen, hatte ich bereits über dreißig Stück Vieh dastehen, weil man soviel das Jahr hindurch auf demselben Gut erhalten konnte; in Summa, ich bestellte alles auf das Beste, auch sogar mit köstlichem Hausrat, wie es mir nur meine Torheit eingab. Aber die Pfeif fiel mir bald in Dreck, denn da ich nunmehr vermeinte mit gutem Wind nach England zu schiffen, kam ich wider alle Zuversicht nach Holland, und damals, aber viel zu spät, wurde ich erst gewahr, was Ursach mich meine Braut so ohngerne nehmen wollen, das mich aber am allermeisten schmerzte, war, daß ich mein spöttisch Anliegen keinem Menschen klagen durfte. Ich konnte zwar wohl erkennen, daß ich nach dem Maß der Billigkeit Schulden bezahlen mußte, aber solche Erkenntnis machte mich darum nichts desto geduldiger, viel weniger frömmer, sondern weil ich mich so betrogen befand, gedachte ich meine Betrügerin wieder zu betrügen, maßen ich anfing grasen zu gehen, wo ich zukommen konnte, über das stak ich mehr bei guter Gesellschaft im Saurbrunnen als zu Haus; in Summa, ich ließ meine Haushaltung allerdings ein gut Jahr haben; andernteils war meine Frau ebenso liederlich, sie hatte einen Ochsen, den ich ins Haus schlagen lassen, in etliche Körb eingesalzen; und als sie mir auf ein Zeit eine Spansau zurichten sollte, unterstund sie solche wie einen Vogel zu rupfen, wie sie mir denn auch Krebs auf dem Rost und Forellen an einem Spieß braten wollen; bei diesen paar Exempeln kann man ohnschwer abnehmen, wie ich im übrigen mit ihr bin versorgt gewesen, nicht weniger trank sie auch das liebe Weinchen gern und teilet' andern guten Leuten auch mit, das mir denn mein künftig Verderben prognostizierte.
Einsmals spazierte ich mit etlichen Stutzern das Tal hinunter, eine Gesellschaft im untern Bad zu besuchen, da begegnet' uns ein alter Baur, mit einer Geiß am Strick, die er verkaufen wollte, und weil mich dünkte, ich hätte dieselbe Person mehr gesehen, fragte ich ihn, wo er mit dieser Geiß herkäme? Er aber zog sein Hütlein ab, und sagte: »Gnädiger Hearr, Eich darfs auch werlich neit sahn.« Ich sagte: »Du wirst sie ja nicht gestohlen haben?« »Nein«, antwort der Baur, »sondern ich bring sie aus dem Städtchen unten im Tal, welches ich eben gegen den Herrn nicht nennen darf, dieweil wir vor einer Geiß reden.« Solches bewegte meine Gesellschaft zum Lachen, und weil ich mich im Angesicht entfärbte, gedachten sie, ich hätte ein Verdruß oder schämte mich, weil mir der Baur so artlich eingeschenkt; aber ich hatte andere Gedanken, denn an der großen Warzen, die der Baur gleichsam wie das Einhorn mitten auf der Stirn stehen hatte, wurde ich eigentlich versichert, daß es mein Knan aus dem Spessart war, wollte derhalben zuvor einen Wahrsager agieren, ehe ich mich ihm offenbaren und mit einem so stattlichen Sohn, als damals meine Kleider auswiesen, erfreuen wollte; sagte derhalben zu ihm: »Mein lieber alter Vater, seid Ihr nicht im Spessart zu Haus?« »Ja Hearr«, antwort der Baur; da sagte ich: »Haben Euch nicht vor ungefähr achtzehn Jahren die Reuter Euer Haus und Hof geplündert und verbrennt?« »Ja, Gott erbarms«, antwortet' der Baur, »es ist aber noch nicht so lang.« Ich fragte weiter: »Habt Ihr nicht damals zwei Kinder, nämlich eine erwachsene Tochter und einen jungen Knaben gehabt, der Euch der Schaf gehütet?« »Herr«, antwortet' mein Knan, »die Tochter war mein Kind, aber der Bub nicht, ich hab ihn aber an Kindes Statt aufziehen wollen.« Hieraus verstund ich wohl, daß ich dieses groben Knollfinken Sohn nicht sei, welches mich einsteils erfreute, hingegen aber auch betrübte, weil mir zugefallen, ich müßte sonsten ein Bankert oder Findling sein; fragte derowegen meinen Knan, wo er denn denselben Buben aufgetrieben? oder was er für Ursach gehabt, denselben an Kinds Statt zu erziehen? »Ach«, sagte er, »es ist mir seltsam mit ihm gangen, der Krieg hat mir ihn geben, und der Krieg hat mir ihn wieder genommen.« Weil ich denn besorgte, es dürfte wohl ein Fazit herauskommen, das mir wegen meiner Geburt nachteilig sein möchte, verwendet ich meinen Diskurs wieder auf die Geiß und fragte, ob er sie der Wirtin in die Küche verkauft hätte? das mich befremde, weil die Saurbrunnengäst kein alt Geißenfleisch zu genießen pflegten. »Ach nein Herr«, antwort der Baur, »die Wirtin hat selber Geißen genug und gibt auch nichts für ein Ding, ich bring sie der Gräfin, die im Sauerbrunnen badet, und ihr der Doktor Hans in allen Gassen etliche Kräuter geordnet, so die Geiß essen muß, und was sie dann für Milch davon gibt, die nimmt der Doktor und macht der Gräfin noch so ein Arznei drüber, so muß sie die Milch trinken und wieder gesund davon werden; man sagt, es mangel der Gräfin am Gehäng, und wenn ihr die Geiß hilft, so vermag sie mehr als der Doktor und seine Abdecker miteinander.« Unter währender solcher Relation besann ich, auf was Weis ich mehr mit dem Baurn reden möchte, bot ihm derhalben einen Taler mehr um die Geiß, als der Doktor oder die Gräfin darum geben wollten; solches ging er gleich ein (denn ein geringer Gewinn persuadiert die Leut bald anders) doch mit dem Beding, er sollte der Gräfin zuvor anzeigen, daß ich ihm ein Taler mehr darauf geboten, wollte sie dann soviel drum geben als ich, so sollte sie den Vorkauf haben, wo nicht, so wollte er mir die Geiß zukommen lassen und wie der Handel stünde auf den Abend anzeigen.
Also ging mein Knan seines Wegs, und ich mit meiner Gesellschaft den unserigen auch, doch konnte und mochte ich nit länger bei der Kompagnie bleiben, sondern drehte mich ab und ging hin, wo ich meinen Knan wieder fand, der hatte seine Geiß noch, weil ihm andere nicht so viel als ich drum geben wollten, welches mich an so reichen Leuten wunderte und doch nit kärger machte; ich führte ihn auf meinen neuerkauften Hof, bezahlte ihm seine Geiß, und nachdem ich ihm einen halben Rausch angehängt, fragte ich ihn, woher ihm derjenige Knab zugestanden wäre, von dem wir heute geredet? »Ach Herr«, sagte er, »der Mansfelder Krieg hat mir ihn beschert, und die Nördlinger Schlacht hat mir ihn wieder genommen.« Ich sagte: »Das muß wohl ein lustige Histori sein«, mit Bitt, weil wir doch sonst nichts zu reden hätten, er wollte mirs doch für die lange Weil erzählen. Darauf fing er an, und sagte: »Als der Mansfelder bei Höchst die Schlacht verlor, zerstreute sich sein flüchtig Volk weit und breit herum, weil sie nit alle wußten, wohin sie sich retirieren sollten; viel kamen in Spessart, weil sie die Büsch suchten, sich zu verbergen, aber indem sie dem Tod auf der Ebne entgingen, fanden sie ihn bei uns in den Bergen, und weil beide kriegende Teile für billig achteten, einander auf unserm Grund und Boden zu berauben und niederzumachen, griffen wir ihnen auch auf die Hauben, damals ging selten ein Bauer in den Büschen ohne Feurrohr, weil wir zu Haus bei unsern Hauen und Pflügen nit bleiben konnten. In demselben Tumult bekam ich nicht weit von meinem Hof in einem wilden ungeheuren Wald ein schöne junge Edelfrau samt einem stattlichen Pferd, als ich zuvor nit weit davon etliche Büchsenschüß gehört hatte; ich sah sie anfänglich für einen Kerl an, weil sie so männlich daherritt, aber indem ich sie beides Händ und Augen gegen den Himmel aufheben sah und auf welsch mit einer erbärmlichen Stimm zu Gott rufen hörte, ließ ich mein Rohr, damit ich Feur auf sie geben wollte, sinken und zog den Hahnen wieder zurück, weil mich ihr Geschrei und Gebärden versicherten, daß sie ein betrübtes Weibsbild wäre; mithin näherten wir uns einander, und da sie mich sah, sagte sie: ›Ach! wenn Ihr ein ehrlicher Christenmensch seid, so bitte ich Euch um Gottes und seiner Barmherzigkeit, ja um des jüngsten Gerichts willen, vor welchem wir alle um unser Tun und Lassen Rechenschaft geben müssen, Ihr wollet mich zu ehrlichen Weibern führen, die mich durch göttliche Hilf von meiner Leibesbürde entledigen helfen!‹ Diese Wort, die mich so großer Ding erinnerten, samt der holdseligen Aussprach und zwar betrübten doch überaus schönen und anmutigen Gestalt der Frauen zwangen mich zu solcher Erbärmde, daß ich ihr Pferd beim Zügel nahm und sie durch Hecken und Stauden an den allerdicksten Ort des Gesträuchs führte, da ich selbst mein Weib, Kind, Gesind und Vieh hingeflehnt hatte, daselbst genas sie ehender als in einer halben Stund desjenigen jungen Knaben, von dem wir heut miteinander geredet haben.«
Hiemit beschloß mein Knan seine Erzählung, weil er eins trank, denn ich sprach ihm gar gütlich zu; da er aber das Glas ausgeleeret hatte, fragte ich: »Und wie ists danach weiter mit der Frauen gangen?« Er antwortet': »Als sie dergestalt Kindbetterin worden, bat sie mich zu Gevattern, und daß ich das Kind ehestens zur Tauf fördern wollte; sagte mir auch ihres Manns und ihren Namen, damit sie möchten in das Taufbuch geschrieben werden, und indem tat sie ihr Felleisen auf, darinnen sie wohl köstliche Sachen hatte, und schenkte mir, meinem Weib und Kind, der Magd und sonst noch einer Frauen so viel, daß wir wohl mit ihr zufrieden sein können; aber indem sie so damit umging und uns von ihrem Mann erzählte, starb sie uns unter den Händen, als sie uns ihr Kind zuvor wohl befohlen hatte: weil es denn nun so gar ein großer Lärmen im Land war, daß niemand bei Haus bleiben konnte, vermochten wir kaum ein Pfarrherrn, der bei dem Begräbnis war und das Kind taufte; da aber endlich beides geschehen, wurde mir von unserm Schulzen und Pfarrherrn befohlen, ich sollte das Kind aufziehen bis es groß würd, und für meine Mühe und Kosten der Frauen ganze Verlassenschaft behalten, ausgenommen etliche Paternoster, Edelgestein und so Geschmeiß, welches ich für das Kind aufbehalten sollte; also ernährte mein Frau das Kind mit Geißmilch, und wir behielten den Buben gar gern und dachten, wir wollten ihm, wenn er groß würde, unser Mädchen zur Frauen geben; aber nach der Nördlinger Schlacht habe ich beides das Mägdlein und den Buben verloren, samt allem dem was wir vermochten.«
»Ihr habt mir«, sagte ich zu meinem Knan, »ein artliche Geschieht erzählt und doch das Best vergessen, denn Ihr habt nicht gesagt weder wie die Frau, noch ihr Mann oder das Kind geheißen.« »Herr«, antwortet' er, »ich hab nicht gemeint, daß Ihrs auch gern hättet wissen mögen; die Edelfrau hieß Susanna Ramsi, ihr Mann Kapitän Sternfels von Fuchsheim, und weil ich Melchior hieß, so ließ ich den Buben bei der Taufe auch Melchior Sternfels von Fuchsheim nennen und ins Taufbuch schreiben.«
Hieraus vernahm ich umständlich, daß ich meines Einsiedlers und des Gubernators Ramsay Schwester leiblicher Sohn gewesen, aber ach leider viel zu spät, denn meine Eltern waren beide tot, und von meinem Vetter Ramsay konnte ich anders nichts erfahren, als daß die Hanauer ihn mitsamt der schwedischen Garnison ausgeschaut hätten, weswegen er denn vor Zorn und Ungeduld ganz unsinnig worden wäre.
Ich deckte meinen Pettern vollends mit Wein zu und ließ den andern Tag sein Weib auch holen; da ich mich ihnen nun offenbarte, wollten sie es nicht ehe glauben, bis ich ihnen zuvor einen schwarzen haarigen Flecken aufgewiesen, den ich vornan auf der Brust hatte.