type | narrative |
booktitle | Schwarzwälder Dorfgeschichten |
author | Berthold Auerbach |
year | ca. 1893 |
publisher | Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung Nachfolger |
address | Stuttgart |
title | Schwarzwälder Dorfgeschichten - Siebenter Band. |
created | 20030404 |
sender | gerd.bouillon@t-online.de |
firstpub | 1843 |
Navigation:
- Kapitel 21
- Kapitel 1
- Kapitel 2
- Kapitel 3
- Kapitel 4
- Kapitel 5
- Kapitel 6
- Kapitel 7
- Kapitel 8
- Kapitel 9
- Kapitel 10
- Kapitel 11
- Kapitel 12
- Kapitel 13
- Kapitel 14
- Kapitel 15
- Kapitel 16
- Kapitel 17
- Kapitel 18
- Kapitel 19
- Kapitel 20
- Kapitel 21
- Kapitel 22
- Kapitel 23
- Kapitel 24
- Kapitel 25
- Kapitel 26
- Kapitel 27
- Kapitel 28
- Kapitel 29
- Kapitel 30
- Kapitel 31
- Kapitel 32
- Kapitel 33
- Kapitel 34
- Kapitel 35
- Kapitel 36
- Kapitel 37
- Kapitel 38
- Kapitel 39
- Kapitel 40
- Kapitel 41
- Kapitel 42
- Kapitel 43
Neunzehntes Kapitel. Eine Stimme um Mitternacht.
Die Glocken klangen in die Nacht hinein; aus der offenen Kirchthür drang ein breiter Lichtstrahl hinaus auf die Gräber, die von Schnee zugedeckt waren. In der Kirche war die ganze Gemeinde versammelt, jeder hatte ein Licht vor sich; die Orgel tönte, die Gemeinde erhob den vollen Gesang.
Die Orgel verklang, die Stimmen verstummten, und auf der Kanzel stand der Pfarrer und begann: »Was ihr der Geringsten einem thut, das thut ihr unserm Vater im Himmel! Das ist ein Wort, ausgegangen aus fremdem, fernem Lande, es bewährt sich heut hier in unsern Wäldern, hier, wo damals kaum ein Menschentritt der Fährte des wilden Tieres folgte, hier und überall.« Er schilderte hierauf, daß der Mensch sich selber nichts Besseres thun kann, als was er einem andern thue; »und nie,« rief er, »nie ist ein Menschenantlitz schöner, als in der Minute, da du eine gute That vollbracht: eine Glorie breitet sich über dich und erlöst dich von der Schwere des Daseins.« Dann begann er wieder zu schildern, was es um den Gottesdienst um Mitternacht ist: »Freiwillig seid ihr hier versammelt und habt den Schlaf gebrochen, brechet auch den Schlaf der Seele, da euer Auge wacht. Wie oft weckte dich in der Nacht die Sorge, die Not, und du zucktest zusammen, du kannst den Schlaf nicht mehr finden, und wohl dir, wenn es nur eine Sorge ist, die da im Finstern schleicht und sich nicht fangen läßt. Weh dir, wenn es der Gedanke einer bösen That ist, die dich weckte. Dort weckt ein Kind die Mutter, der Vater ist weit fort, und am Krankenbette stehst du und hoffst den Tag heran und fragst: Ist noch nicht Tag . . .«
Als der Pfarrer diese Worte sprach, hielt sich Martina an Adam fest, der neben ihr in der vordersten Reihe saß: »Das ist der Ruf unsres Kindes aus der vergangenen Nacht.«
Und der Pfarrer fuhr fort: »O, stöhnest du, wenn es nur Tag wäre, nur das Licht der Sonne am Himmel, und alles wird sich leichter ertragen. Aber es leuchtete auch ein heller Stern in der Nacht.« Der Pfarrer führte aus, wie wohlgethan es sei, einmal aus freien Stücken den Schlaf zu verscheuchen und ins Auge zu fassen das Sternenlicht in der Nacht; er kehrte wieder zurück zu den Textesworten und segnete alle, die heute eine gute That zur Vorhalle gemacht, durch die sie in die Kirche kamen.
Kein Atemzug, kein Räuspern, kein Husten – was sonst bei dem nächtlichen Gottesdienste wie Klage der gestörten Lebensordnung die kirchliche Feier unterbricht – war heute vernehmbar; jeder hatte den Atem angehalten, und die Mauern erdröhnten, als der Gesang jetzt wieder einfiel.
In kurzen und einfachen Worten vollzog nun der Pfarrer die Trauung von Adam und Martina, und still, unter dem abermaligen Geläute der Glocken, zerstreute sich die Gemeinde. Einige Burschen hatten Flinten bereit gehalten, um nach der Trauung zu schießen, aber sie wurden von den aus der Kirche Kommenden zurückgehalten. Es war einem jeden so feierlich zu Mute, jetzt durfte kein Lärm sein, die stille Andacht, die der Pfarrer erweckt hatte, durfte durch keinerlei Lärm gestört werden. Und als nach ein Uhr der Mond aufging und das Schneegestöber verscheuchte, da leuchtete er auf ein ruhig schlafendes Dorf hernieder, und die schlummernden Herzen waren gesättigt und fühlten sich beseligt.