title | Beguinage |
type | poem |
booktitle | Lyrik und Prosa |
author | Rainer Maria Rilke |
publisher | Insel Verlag |
sender | guenter.ullwer@cmcc.com |
created | 20030407 |
modified | 20040217 |
Navigation:
- Kapitel 44
- Tanagra
- Römische Sarkophage
- Die Erblindende
- O Lacrimosa, II
- Das Karussell - Jardin du Luxembourg
- Mädchenklage
- Der Turm
- Opfer
- Der Stifter
- Der Schwan
- Archaischer Torso Apollos
- Todes-Erfahrung
- Römische Fontäne (Villa Borghese)
- Vorfrühling
- Meine Mutter
- Buddha
- Die Erwachsene
- Abisag
- Menschen bei Nacht
- Gott im Mittelalter
- Der Marmor-Karren
- Kindheit
- Der König
- Musik
- Der Gefangene
- Die Kurtisane
- Ein Frauenschicksal
- Die Fensterrose
- Wunderweiße Nächte
- Im Saal
- David singt vor Saul
- Leda
- Josuas Landtag
- L?ange du meridien
- Die Treppe der Orangerie
- Orpheus. Eurydike. Hermes
- Die Insel
- Der Platz - Furnes
- Advent
- Sankt Sebastian
- Pietà
- Du musst das Leben nicht verstehen
- Der Panther
- Beguinage
- Der Ölbaumgarten
- Der Engel
- Du Dunkelheit aus der ich stamme
- Jugend-Bildnis meines Vaters
- Die Genesende
- Selbstbildnis aus dem Jahre 1906
- Spanische Tänzerin
- Das Kapitäl
- Die Rosenschale
- Sappho an Eranna
- Blaue Hortensie
- Alkestis
- Sappho an Alkaïos (Fragment)
- Das Portal
- Der Auszug des verlorenen Sohnes
- Der Tod des Dichters
- Grabmal eines jungen Mädchens
- Eranna an Sappho
- Traumgekrönt
- Das Einhorn
- Abschied
- In einem fremden Park
- Hetären-Gräber
- Morgue
- Herbsttag
- Auferstehung
- Für Wolf Graf von Kalckreuth
- Östliches Taglied
- Rosa Hortensie
- Früher Apollo
- Tränen, Tränen, die aus mir brechen
- Letzter Abend
- Am Strande
- Die Kathedrale
- Gesang der Frauen an den Dichter
- Liebeslied
- Die Flamingos
- Vor dem Sommerregen
- Der letzte Graf von Brederode entzieht sich türkischer Gefangenschaft
- Die Gazelle
- Quai du Rosaire
- Der Fahnenträger
- Der Dichter
- Die Spitze
Rainer Maria Rilke
Beguinage
Béguinage Sainte-Elisabeth, Brügge
I
Das hohe Tor scheint keine einzuhalten,
die Brücke geht gleich gerne hin und her,
und doch sind sicher alle in dem alten
offenen Ulmenhof und gehen nicht mehr
aus ihren Häusern, als auf jenem Streifen
zur Kirche hin, um besser zu begreifen
warum in ihnen soviel Liebe war.
Dort knien sie, verdeckt mit reinem Leinen,
sogleich, als wäre nur das Bild der einen
tausendmal im Choral, der tief und klar
zu Spiegeln wird an den verteilten Pfeilern;
und ihre Stimmen gehen den immer steilern
Gesang hinan und werfen sich von dort,
wo es nicht weitergeht, vom letzten Wort,
den Engeln zu, die sie nicht wiedergeben.
Drum sind die unten, wenn sie sich erheben
und wenden, still. Drum reichen sie sich schweigend
mit einem Neigen, Zeigende zu zeigend
Empfangenden, geweihtes Wasser, das
die Stirnen kühl macht und die Munde blaß.
Und gehen dann, verhangen und verhalten,
auf jenem Streifen wieder überquer –
die Jungen ruhig, ungewiß die Alten
und eine Greisin, weilend, hinterher –
zu ihren Häusern, die sie schnell verschweigen
und die sich durch die Ulmen hin von Zeit
zu Zeit ein wenig reine Einsamkeit,
in einer kleinen Scheibe schimmernd, zeigen.
II
Was aber spiegelt mit den tausend Scheiben
das Kirchenfenster in den Hof hinein,
darin sich Schweigen, Schein und Widerschein
vermischen, trinken, trüben, übertreiben,
phantastisch alternd wie ein alter Wein.
Dort legt sich, keiner weiß von welcher Seite,
außen auf Inneres und Ewigkeit
auf Immer-Hingehn, Weite über Weite,
erblindend, finster, unbenutzt, verbleit.
Dort bleibt, unter dem schwankenden Dekor
des Sommertags, das Graue alter Winter:
als stünde regungslos ein sanftgewinnter
langmütig lange Wartender dahinter
und eine weinend Wartende davor.