author | Edward Bulwer-Lytton |
title | Eine seltsame Geschichte |
publisher | Rieger'sche Verlagsbuchhandlung. (A. Benedict.) |
year | 1861 |
translator | Carl Kolb |
corrector | Josef Muehlgassner |
sender | www.gaga.net |
created | 20170620 |
projectid | f7a86070 |
Navigation:
- Kapitel 63
- Kapitel 1
- Kapitel 2
- Kapitel 3
- Kapitel 4
- Kapitel 5
- Kapitel 6
- Kapitel 7
- Kapitel 8
- Kapitel 9
- Kapitel 10
- Kapitel 11
- Kapitel 12
- Kapitel 13
- Kapitel 14
- Kapitel 15
- Kapitel 16
- Kapitel 17
- Kapitel 18
- Kapitel 19
- Kapitel 20
- Kapitel 21
- Kapitel 22
- Kapitel 23
- Kapitel 24
- Kapitel 25
- Kapitel 26
- Kapitel 27
- Kapitel 28
- Kapitel 29
- Kapitel 30
- Kapitel 31
- Kapitel 32
- Kapitel 33
- Kapitel 34
- Kapitel 35
- Kapitel 36
- Kapitel 37
- Kapitel 38
- Kapitel 39
- Kapitel 40
- Kapitel 41
- Kapitel 42
- Kapitel 43
- Kapitel 44
- Kapitel 45
- Kapitel 46
- Kapitel 47
- Kapitel 48
- Kapitel 49
- Kapitel 50
- Kapitel 51
- Kapitel 52
- Kapitel 53
- Kapitel 54
- Kapitel 55
- Kapitel 56
- Kapitel 57
- Kapitel 58
- Kapitel 59
- Kapitel 60
- Kapitel 61
- Kapitel 62
- Kapitel 63
- Kapitel 64
- Kapitel 65
- Kapitel 66
- Kapitel 67
- Kapitel 68
- Kapitel 69
- Kapitel 70
- Kapitel 71
- Kapitel 72
- Kapitel 73
- Kapitel 74
- Kapitel 75
- Kapitel 76
- Kapitel 77
- Kapitel 78
- Kapitel 79
- Kapitel 80
- Kapitel 81
- Kapitel 82
- Kapitel 83
- Kapitel 84
- Kapitel 85
- Kapitel 86
- Kapitel 87
- Kapitel 88
- Kapitel 89
- Kapitel 90
Zweiundsechzigstes Kapitel.
Unsere Gelübde sind am Altar ausgetauscht und der Geistliche hat die Worte des Segens über unsere Verbindung gesprochen. Wir sind von der Kirche in den Bergen, der Andachtstätte meiner Väter, deren Glocken wie jetzt zu meiner Hochzeit einst auch zu meiner Geburt geläutet haben, zurückgekehrt. Lilian befindet sich auf ihrem Zimmer, um sich zu der Brautreise vorzubereiten, und der Wagen, den wir gemiethet, wartet schon vor der Thüre. Ich halte die Mutter in dem Hof zurück und suche sie zu beruhigen und aufzuheitern, denn das Gefühl der Veränderung in den Beziehungen zwischen Kind und Eltern wird an dem Tag, an welchem das Kind sich ein anderes Herz gesichert hat, an das es sich anlehnen kann, besonders schmerzlich empfunden.
Aber Frau Ashleigh war eine von jenen weichen Frauennaturen, die ebenso leicht sich wieder trösten lassen, als sie dem Schmerz zugänglich sind. Sie lächelte schon wieder durch ihre Thränen und war eben im Begriff, mich zu verlassen und zu ihrer Tochter zu gehen, als eine von den Wirthsmägden mit einigen Briefen an mich, die eben abgegeben worden waren, herauskam. Ich nahm sie in Empfang, und Frau Ashleigh fragte, ob nicht auch ein Brief an sie da sei. Sie erwartete Nachricht von ihrer Haushälterin in L– –, um die sie wegen einer Krankheit, von welcher sie während der Abwesenheit ihrer Herrschaft befallen worden, sehr besorgt war. Die Magd antwortete, für sie sei nichts vorhanden, wohl aber ein Brief mit der Adresse der Fräulein Ashleigh, welchen sie eben der jungen Dame hinauf geschickt habe.
Frau Ashleigh zweifelte nicht, daß die Haushälterin statt an sie an Lilian geschrieben habe, der sie, weil sie dieselbe von der Wiege an kannte, sehr zugethan war, machte gegen mich eine Bemerkung in dieser Richtung und eilte dem Hause zu.
Ich überflog noch hastig meine Briefe, die hauptsächlich von Patienten herrührten, als vom Hause her plötzlich ein herzzerreißender Schrei an mein Ohr schlug. »Himmel! war dies nicht Lilians Stimme?« Denselben Eindruck machte er auch auf Frau Ashleigh, die bereits die Hausthüre erreicht hatte und jetzt mit dem Ruf, ich möchte ihr folgen, die Treppe hinan stürzte. Ich beeilte mich, schoß an ihr vorbei und erreichte noch vor ihr Lilians Zimmer.
Meine Braut lag bewußtlos auf dem Boden ausgestreckt – so still, so bleich, daß ich in meinem ersten Entsetzen fürchtete, das Leben sei ganz in ihr erloschen. In der Hand hielt sie einen Brief, den sie wie in plötzlichem Krampf zusammengeknittert hatte.
Es stand lange an, bis die Farbe wieder zurückkehrte und der Athem auf ihren Lippen bemerklich wurde. Sie erwachte, aber nicht zur Gesundheit, nicht zum Bewußtsein. Stunden entschwanden unter heftigen Krämpfen, in denen ich jeden Augenblick ihren Tod befürchtete. Darauf folgte eine Betäubtheit, eine Schlafsucht, kein wohlthätiger Schlaf. Jene Nacht, meine Hochzeitnacht, verbrachte ich wie in einer Krankenkammer, nach der ich beschieden war, um die Jugend gegen das Grab zu vertheidigen. Endlich, endlich konnte ich versichert sein, daß dem Leben keine Gefahr mehr drohte! Das Leben war zurückgekehrt, aber der Geist dahin. Sie kannte weder mich noch ihre Mutter, sprach wenig und bloß mit tonloser Stimme, und in ihren Worten lag kein Sinn.
Ich muß über diese Periode hinwegeilen. Meine Erfahrung ließ mich im Stich und meine Kunst blieb ohne Erfolg. Tag um Tag entschwand, ohne daß ein Lichtstrahl in dem umnachteten Gehirn aufblitzte. Wir brachten sie in langsamen Tagreisen nach London, in der Hoffnung, eine vollendetere Geschicklichkeit als die meinige und der Rath von Aerzten, die sich vorzugsweise mit Geisteskrankheiten abgeben, dürfte zu einem günstigen Resultat führen. Ich bat die berühmtesten Männer um ihren Besuch. Vergeblich! – vergeblich!